Die Herrin der Pyramiden
Zelt auf der obersten Plattform nicht verließ.
Gerade als ich mich einige Tage später bei einem Vorarbeiter nach dem Fortgang der Arbeiten erkundigte, kam von unten der Ruf: »Wir haben die Grabkammer gefunden!«
Die Zeit auf der Baustelle war aufregend wie nie zuvor. Die Pyramidenplattform war nun höher als die in Pihuni zum Zeitpunkt meines Eintritts in den Tempel. Der Kernturm hatte fast zwei Drittel der vorgesehenen Höhe der Pyramide erreicht und ragte als gewaltiger Turm in die Landschaft oberhalb des Hapi. Bereits in diesem Baustadium war der Pyramidensockel von der Residenz und von den Dächern der Hauptstadt Mempi aus am Horizont zu erkennen.
Nie zuvor hatten sich so viele Arbeiter außerhalb der Überschwemmungszeit auf einer Baustelle befunden wie in diesem kritischen Jahr der Staatsfinanzen. Aber das war Nefermaats Problem, in das ich mich nicht einmischen wollte. Der Krieg in Kusch hatte keine Auswirkungen auf die Arbeiten auf der Baustelle. Es wurde nicht einmal darüber gesprochen.
Niemand hatte mich von der Rückkehr des siegreichen Feldherrn und seiner Generäle verständigt. Von meiner Position auf der obersten Plattform sah ich die gigantische Staubwolke, die die Kampfwagen der beiden Regimenter auf der Uferstraße entlang des Hapi aufwirbelten, als sie sich der Hauptstadt näherten. Die Krieger kehrten gegen Ende der Aussaat des fünfzehnten Regierungsjahres zurück.
Das Sperrgebiet der Pyramidenbaustelle lag auf dem kürzesten Weg zwischen der Uferstraße und Mempi. Und so war es für einige der Streitwagenführer beinahe selbstverständlich, die Abkürzung an der Pyramide vorbei über die Baustelle zu nehmen.
Ich stand auf der Plattform und sah hilflos zu, wie mehrere Streitwageneinheiten im Galopp die Baustelle überquerten und die Arbeiten erheblich behinderten. Als ich dann auch noch Khufu und Djedef einträchtig nebeneinander auf ihren Kampfwagen nahe an der Pyramide vorbeigaloppieren sah, explodierte ich fast.
Djedef lenkte seinen Wagen unterhalb der Rampe und Khufu folgte ihm in wildem Tempo. Ich lief die Baurampe hinunter, Djedef sprang ab und rannte mir mit weit geöffneten Armen entgegen.
»Djedef!«, rief ich schon von weitem. »Ihr seid …« Bevor ich den Satz vollenden konnte, hatte er mich ungestüm in die Arme geschlossen und auf die Lippen geküsst.
»Ich weiß, was du sagen willst, Nefrit!«, rief er zwischen zwei Küssen. »Wir sind zurückgekehrt! Begrüße die Helden!«
Er ließ von mir ab, damit ich auch Prinz Khufu begrüßen konnte.
Khufu trat auf mich zu und schloss mich ebenso stürmisch in die Arme wie Djedef. Ich wusste nicht, wie mir geschah, als auch er mich auf den Mund küsste.
»Ihr seid wohl verrückt geworden, alle beide!«, fauchte ich die siegreichen Generäle an. »Wie könnt ihr zulassen, dass die Wagen über die Baustelle rasen? Wie leicht kann es zu Unfällen kommen, ganz zu schweigen von der Verzögerung der Arbeiten!«
Djedef umarmte mich und hob mich hoch. »Reg dich nicht auf, Nefrit! Meine Männer beherrschen ihre Streitwagen, sie haben in Kusch erfolgreiche Schlachten geschlagen und die Feinde in die Wüste zurückgejagt. Dann werden sie es wohl schaffen, eine Baustelle zu überqueren.«
»Das Betreten der Baustelle ist aber verboten!«
»Etwas mehr Respekt vor den siegreichen Truppen des Königs wäre angebracht, Nefrit. Wir haben die Goldminen zurückerobert. Dem Land Kemet stehen wieder unerschöpfliche Goldvorräte in Kusch zur Verfügung. Du kannst nun so viele Pyramiden bauen, wie du willst«, scherzte Khufu.
»Mir reicht diese eine Pyramide. Ich habe nicht vor, noch eine weitere zu bauen!«
»Ich werde als König ebenfalls eine Pyramide benötigen.«
»Ich dachte, dass ich zunächst die Pyramide deines Vaters fertig stelle, bevor ich mit der nächsten beginne.« Ich war noch so wütend auf Djedef und Khufu, dass ich nicht auf meine Wortwahl achtete, doch Khufu schien es egal zu sein.
Djedef drängte den Prinzen zum Aufbruch. Der Herrscher war bereits am Vortag in die Residenz zurückgekehrt und erwartete die Rückkehr der Truppen. Die beiden Generäle bestiegen ihre Wagen und folgten ihren Einheiten in Richtung Residenz.
Rahoteps Nachricht erreichte mich, als ich im Hapi badete, um den Staub des Tages abzuwaschen.
Am gleichen Abend war auch Rahotep mit seinen Barken im Hafen von Mempi angekommen. Ich hatte beobachtet, wie die Segler lautlos stromabwärts an der Pyramidenbaustelle vorbeiglitten.
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