Die Herrin der Pyramiden
erkundigen.«
»Woher weißt du davon?«, fragte Khufu misstrauisch.
»Ich kann denken, General. Leere Schatzhäuser und drei Heerführer in tagelangen Besprechungen mit dem König haben mich nachdenklich gemacht. Ist die Baustelle in Gefahr?«
»Nein, Nefrit. Du wirst keinen der Arbeiter verlieren. Wir werden mit zwei Regimentern nach Kusch ziehen, um die Goldminen wieder unter kemetische Kontrolle zu bringen. Die kuschitischen Häuptlinge haben in einem blutigen Aufstand in den vergangenen Wochen die Goldminen in ihre Gewalt gebracht.«
»Wann brecht ihr auf?«
»Sobald unser Vater die Verantwortung für die Staatsgeschäfte in Nefermaats Hände übergeben hat: morgen«, antwortete Khufu in seiner gewohnt militärisch kurzen Art.
»So bald schon?«, fragte ich entsetzt. »Rahotep, was ist mit den Hochzeitsvorbereitungen?«
»Die Hochzeit muss warten, Nefrit, bis Seine Majestät und seine Söhne aus Kusch zurückgekehrt sind.«
Weder Rahotep noch Djedef sah ich wieder, bevor der König mit dem Seth- und dem Ptah-Regiment die Hauptstadt verließ und in das Land im Sonnenzenit marschierte. Ich war wütend, weil sich Rahotep vor seinem Kriegszug nicht von mir verabschiedet hatte.
Am letzten Neumond der Erntezeit beobachtete der Herrscher den Auszug der beiden Regimenter vom Erscheinungsfenster der Residenz aus. Dort oben stand er im Königsornat mit Hotephores und ließ die Soldaten in voller Bewaffnung, mit Schwertern, Schilden und Bögen sowie die Streitwagentruppen an sich vorüberziehen. Die beiden Regimenter waren ein wundervoller Anblick.
General Djedef fuhr in seinem Streitwagen an der Spitze seines Ptah-Regiments, das aus fünftausend Mann bestand. Sein Helmbusch hatte die blaue Farbe des Regiments. Seine vergoldete Rüstung blitzte in der Sonne, als er mir zuwinkte. Das Ptah-Regiment war das erste, das Mempi verließ, gefolgt von dem Seth-Regiment. Auch Khufu fuhr in einem Kampfwagen seinen fünftausend Männern voraus. Sein Helmbusch bestand aus rot gefärbten Straußenfedern, der Farbe seines Regiments.
Wo war Rahotep? Sollte er die beiden Generäle nicht begleiten?
Dann sah ich ihn. Er fuhr auf einem Wagen, gefolgt von etwa tausend Männern mit schwerer Bewaffnung. Aber seine Soldaten hatten weder Pferde noch Wagen. Offensichtlich kommandierte Rahotep die Einheit der Truppen, die auf den bereits fertig gestellten Barken der neuen Flotte den Hapi aufwärts segeln sollten. Neben ihm auf dem Wagen stand sein Adjutant Ti.
Ti entstammte einer einflussreichen Familie aus Abodu. Nach seiner Ausbildung zum Schreiber, die er gemeinsam mit Rahotep absolviert hatte, war er im Amun-Regiment, das in Pihuni stationiert war, bis zur Position eines Kommandanten aufgestiegen. Nach dem Umzug nach Mempi hatte Rahotep seinen Freund zu seinem Adjutanten gemacht, um ihn in seiner Nähe zu haben.
Als Rahotep an mir vorbeifuhr, hatte er keinen Blick für mich, da er sich angeregt mit Ti unterhielt. Ich war wütend und enttäuscht, ohne Abschied zurückbleiben zu müssen.
Als die Truppenparade beendet war, stieg der Lebendige Gott vom Erscheinungsfenster herab. Er hatte seine Rüstung, die blaue Chepresch-Krone und den Schwertgürtel angelegt und bestieg seinen wartenden Streitwagen.
Die Rufe »Lang lebe Seneferu Nebmaat! Möge er siegreich zurückkehren!« begleiteten ihn bis zur Stadtgrenze von Mempi. Außerhalb der Residenz setzte sich der König an die Spitze seiner Truppen und führte sie in den Süden des Reiches.
Der Feldzug dauerte sechs Monde. Das Leben auf der Pyramidenbaustelle ging weiter wie bisher. Noch schien der Vorrat an Kupferbarren für die Arbeiter unerschöpflich. Aber ich wusste, warum der Herrscher und seine Söhne so überstürzt nach Kusch aufgebrochen waren.
Die Arbeiter drohten wieder mit einem Streik, den wir aber mit Hilfe der Bauvorsteher abwenden konnten. Erneut erhöhten wir die Tagesrationen und gestatteten jedem Arbeiter eine zusätzliche Ration an Bier und Dattelwein. In jedem Fall war das preiswerter für die Staatskassen als eine weitere Lohnerhöhung.
Eines Abends, nach Abschluss der täglichen Bauarbeiten, bat mich mein Vater, ihn zu begleiten. Er nahm zwei Fackeln und verließ das Zelt des Bauleiters.
»Wohin gehen wir, Vater?«
»In die Grabkammer.«
Schweigend folgte ich ihm bis zum Eingang des Grabschachtes. Im Schutze der Dunkelheit betraten wir den normalerweise verschlossenen Grabkorridor. Erst als wir gut zwanzig Schritte durch die
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