Die Herrin der Pyramiden
Zustand der Straßen angesehen?«
»Dann werde ich reiten, Rahotep.«
»Ich verbiete es dir!«
Ich zögerte eine Stunde lang, um eine Audienz beim König nachzusuchen. Aber Kamoses Brief ließ mir keine Ruhe. Irgendetwas Unvorhergesehenes war geschehen, etwas, das ihn auf mich warten ließ. Hatte er die Bauarbeiten eingestellt?
Es war später Nachmittag, als der Sandalenträger des Königs mich abholte, um mich zu Seneferu zu bringen. Er saß noch immer an seinem Schreibtisch auf dem Oberdeck der Sonnenbarke und arbeitete mit seinen Schreibern.
»Du wolltest mich sprechen?« Seneferu sah nicht auf, als ich mich erhob.
»Ja, Euer Majestät. Der Bauleiter Kamose hat mir geschrieben, dass meine Anwesenheit auf der Pyramidenbaustelle dringend notwendig geworden ist. Ich bitte darum, nach Mempi zurückkehren zu dürfen.«
Er sah auf, und unsere Blicke trafen sich. »Was ist geschehen?«
»Ich weiß es nicht, Euer Majestät. Deshalb würde ich gern sofort aufbrechen. Die Worte meines Vaters klangen dringend.«
»Warum bittest du mich um die Rückkehr nach Mempi und bist nicht schon längst unterwegs?«
»Das wollte ich, Euer Majestät, aber Rahotep …«
»Rahotep, immer wieder Rahotep! Wann lernt mein Sohn endlich, Entscheidungen zu treffen, wenn sie anstehen?« Der König warf die Schreibbinse auf den Tisch.
»Ich wollte nicht, dass Rahotep …«
»Keine Angst, Nefrit. Du hast mir nichts offenbart, was ich nicht schon wusste. Rahotep hat sich schon in der Vergangenheit als äußerst unflexibel bei schnellen Entscheidungen gezeigt. Hast du dich entschieden, wie du reisen willst?«
»Ich wollte den Boten begleiten, wenn er zurückreitet.«
Er sah mich an, als habe er mich nicht verstanden.
»Ich kann reiten!«, fügte ich an.
»Das hätte ich nicht anders erwartet.«
Der Weg zurück nach Mempi dauerte zwei Tage. Meine Begleiter und ich brachen bei Sonnenaufgang auf. Djedef, von dem ich mich nur kurz verabschieden konnte, hatte mir eine Leibwache von acht Kriegern zur Seite gestellt, die mich zurück nach Mempi bringen sollten. Obwohl wir die meiste Zeit die Pferde zu höchster Eile antrieben, zwang uns das unwegsame und teilweise sumpfige Gelände immer wieder zu größeren Umwegen. Während des Rittes hatte ich genügend Zeit, über Rahoteps Reaktion auf meine Audienz bei seinem Vater nachzudenken.
Ich war froh, dass ich meinen Verlobten für mehrere Monde nicht sah, solange er seinen Vater auf dem Kriegszug in das Zedernland begleitete. In der Zwischenzeit hatte ich genügend Zeit, über eine künftige Ehe mit ihm nachzudenken.
Kurz vor Mitternacht des zweiten Tages lagen die weißen Mauern der Hauptstadt vor uns. Dann erreichten meine Leibwache und ich die Baustelle.
Mein Vater erwachte von dem Lärm, den die erschöpften Pferde machten, und den lauten Rufen meiner Begleiter und empfing mich vor seinem Zelt. »Ptah sei Dank, dass du so schnell zurückgekehrt bist. Ich hatte erst in zwei oder drei Tagen mit dir gerechnet.«
»Der König hat mir schnelle Pferde zur Verfügung gestellt.«
Ich schickte meine Begleiter in das Kriegerhaus des Ptah-Regiments, legte mich auf eine Schlafmatte und war innerhalb weniger Augenblicke eingeschlafen. Ich erwachte erst am späten Nachmittag kurz vor Beendigung der täglichen Arbeiten. Mein Vater saß neben meiner Schlafmatte und arbeitete an seinen Bauzeichnungen.
»Warum hast du mich nicht geweckt? Es ist fast Abend!«
»Du hast eine anstrengende Reise hinter dir, Nefrit. Außerdem können wir erst aufbrechen, wenn es Nacht geworden ist.«
Im Schutz der Dunkelheit schlichen mein Vater und ich hinüber zur Pyramide. Kamose entfernte den Verschlussstein vor dem Grabschacht, und wir betraten die Finsternis der Jenseitigen Welt. Erst auf halbem Weg zur Vorkammer des alten Grabsystems entzündeten wir unsere Fackeln und setzten unseren Weg fort.
Ich fand die Vorkammer, wie ich sie zuletzt gesehen hatte. Mein Vater zog mich weiter mit sich. Der erneut mit Gipsmörtel kaschierte Riss in der alten Grabkammer, zu der wir über eine Leiter aus Palmholz hochstiegen, hatte sich auf über sechs Finger verbreitert. Ich war entsetzt.
»Das Plateau unterhalb der Pyramide hat sich erneut gesenkt. Dieser Riss hat sich nicht nur verbreitert, er scheint nun auch unterhalb des Fundamentes weiterzuverlaufen«, erklärte mein Vater flüsternd, als könnte uns hier jemand hören.
»Verdammt!«, fluchte ich.
»Aber das ist noch nicht alles!«
Ich hatte
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