Die Herrin der Pyramiden
Morgen beim Frühstück hast du mich nur eines einzigen Blickes gewürdigt. Du widmest Ti mehr Zeit als mir.«
»Ich habe viel zu tun.« Rahotep konzentrierte sich auf die Straße.
Die Fahrt bis zum Palast des Gaufürsten von Iunu dauerte nicht lang. Dem Gaufürsten unterstand eine der reichsten Provinzen der Zwei Reiche, mit den meisten Einwohnern und dem größten Tempelbezirk.
Das Volk empfing seinen Herrscher und dessen Söhne durch das vorgeschriebene Küssen des Bodens. Es war das erste Mal, dass sich jemand vor mir zu Boden warf. Ich fühlte mich dabei nicht besonders gut.
Der Lebendige Gott und seine Begleitung, die aus seinen Söhnen und einer Vielzahl von Beamten der Steuerbehörde von Mempi bestand, betrat den Palast des Fürsten von Iunu, der sich ihm zu Füßen warf. Seneferu ließ sich auf dem mitgeführten Reisethron nieder und nahm mit der blauen Krone und den beiden Zeptern die traditionelle Haltung des Königs ein. Ich nahm in der dritten Reihe der Würdenträger Platz.
Der erste Fall, der dem Herrscher zur Rechtsprechung vorgelegt wurde, war ein Fall von Steuerhinterziehung eines Königlichen Schreibers. Nach Prüfung der Anklage durch Rahotep und der Verteidigung durch Aserkaf verurteilte Seneferu den Mann zum Tode. Das Verfahren dauerte nicht länger als eine Stunde. Der nächste Fall betraf einen Grabraub in der Nekropole von Iunu. Ein Mann hatte zusammen mit seinen vier Söhnen das Grab eines Hohepriesters des Re beraubt und die Schmuckgegenstände weiterverkauft. Ich war überrascht, dass der König aufgrund ihrer Armut Milde walten ließ. Jeder der fünf Männer verlor seine rechte Hand. Das Urteil wurde im Beisein des Herrschers vollstreckt.
Fluchtartig verließ ich den Palast der Stadtverwaltung. Draußen lehnte ich mich gegen die Lehmziegelmauer und schwankte im grellen Licht der Sonne. In dem Augenblick, als meine Leibwächter mich erreichten, musste ich mich übergeben.
Seneferu sah kurz auf, als ich in den Saal zurückkehrte, um meinen Platz wieder einzunehmen. Rahotep mied meinen Blick.
Ich beobachtete, wie sich der Blick des Königs abwechselnd auf Aserkaf und Rahotep richtete, wie er die strategischen Winkelzüge Rahoteps als Anwalt des Staates und Aserkafs offene Konfrontation während der Verteidigung mit einem amüsierten Lächeln zur Kenntnis nahm. Ich vermutete, dass Seneferu noch nicht über die Thronfolge durch Aserkaf oder Rahotep entschieden hatte. Nach welchen Kriterien wollte er entscheiden? Aserkaf hatte nach seiner Ausbildung zum Schreiber Verwaltung und Rechtsprechung studiert. Rahotep hatte nach der Schreiberprüfung die Priesterweihe in Iunu erhalten und in Mempi Architektur studiert. Seine Karriere als Hohepriester des Sonnengottes war vorgezeichnet, während Aserkafs Aufgaben eher weltlicher Natur sein dürften. Ein Herrscher der Zwei Reiche musste jedoch beide Voraussetzungen erfüllen, um die weltlichen wie die religiösen, die spirituellen wie die militärischen Belange Kemets zu ordnen.
Während der Rückfahrt auf Rahoteps Wagen musste ich seine schlechte Laune ertragen. Als wir die
Udjat
erreichten, verschwand er ohne weiteren Kommentar mit Ti in seinem Arbeitsraum.
Ich hatte nichts zu tun, und so beschloss ich, ein Bad im Hapi zu nehmen. Ich ging in meine Kabine, holte mir zur Überraschung meiner Dienerschaft ein Leinentuch aus einer der Truhen und begab mich damit zum Landungssteg der Barke.
»Wohin gehst du?«, fragte mich Khufu, der mich vom Schatten eines Sonnensegels aus beobachtet hatte.
»Ich gehe schwimmen.«
»Hast du Rahoteps Zeremonienmeister um Erlaubnis gefragt?«
»Ich gehe schwimmen, wann ich will.«
»Allein?«
»Meine Gefängniswärter schlafen vorne am Bug im Schatten. Aber sie haben vergessen, die Käfigtür zu verriegeln.«
Khufu lachte, bis er Tränen in den Augen hatte. »Hast du etwas dagegen, wenn ich dich begleite? Es ist wirklich sehr heiß heute.«
Ich konnte mir wirklich etwas Angenehmeres vorstellen als ein Bad im Hapi zusammen mit Khufu, aber ich konnte sein Angebot zur Begleitung nicht ablehnen.
Wir gingen einige hundert Schritte das Ufer hinunter, bis wir eine flache Stelle jenseits des Tempelbezirks fanden, wo das Schilf nicht so dicht stand, sodass wir den Fluss erreichen konnten.
Das Wasser war herrlich kühl, die Strömung nicht zu stark. Mit kräftigen Zügen schwamm ich bis in die Mitte des Flusses und drehte mich um. Vor mir erstrahlte der Tempel des Re in seiner ganzen Pracht.
»Du hast sehr
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