Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
Aufblitzen wahr, als Sir Conyers einem vorüberziehenden Bootsmann eine Münze zuwarf. Der verdutzte Mann ließ die Ruder sinken und fing das Geldstück. »Lasst Euer Boot reparieren!«, rief Sir Conyers ihm zu.
Der Mann stand auf und winkte eifrig. »Ich danke Euch, mein guter Lord! Dank Euch! Möge Gott Eure Güte …« Mehr hörte ich nicht, da er zu schnell weit weg von uns war.
Sir Conyers lächelte entschuldigend. »Sein kleines Holzboot ist in einem erbärmlichen Zustand, und ich fürchte, wenn er das nächste Mal damit losrudert, kommt er nicht ans Ufer zurück.«
Ich hoffte, dass mein Lächeln strahlend genug war, um ihm zu zeigen, wie sehr mich seine noble Geste rührte. Wie oft hatte ich schon solche Boote gesehen und nie über die zahnlosen Schiffer nachgedacht, die an den Rudern saßen? Ich blickte wieder nach vorn und stellte fest, dass wir uns der London Bridge näherten. Dort oben standen schäbige Hütten und Buden dicht an dicht, zwischen denen sich Käufer, Händler und Passanten drängelten. An der Brücke wurde mir fast übel vom entsetzlichen Verwesungsgestank, waren hier doch die Köpfe der Verräter nebeneinander auf lange Eisen gespießt. Erschrocken hielt ich mir ein Taschentuch vors Gesicht. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Sir John Conyers hingegen ungerührt zu den grotesken Gesichtern blickte, auf denen Raben hockten und pickten, als suchte er nach jemand Bekanntem. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Auf der Brücke waren ständig Köpfe aufgespießt, aber zum ersten Mal wurde ich ihrer richtig gewahr und begriff, dass sie einst Menschen gewesen waren, dass sie Familien hinterlassen hatten, die sie liebten und um sie trauerten. Ich zurrte den Umhang dichter um mich, blickte ebenfalls hinauf zu den scheußlichen Überresten und bekreuzigte mich. Als wir unter der Brücke hindurchglitten, flüsterte ich ein stilles Gebet für die Seelen der Hingerichteten.
Sir John Conyers sah mich an. »Euch ist kalt. Hier, Mylady, erlaubt mir, Euch mein Cape zu geben. Es ist aus feinster englischer Wolle, und wenn es auch keinen Fellbesatz hat, versichere ich Euch, dass es warm hält. Wir sind bald da … Ah, dort ist es, das Erber! Sie können es schon sehen«, sagte Sir Conyers. »Seit den Zeiten Edwards III. die Londoner Residenz der Earls of Salisbury.«
Ich blickte in die Ferne. Ein heller, imposanter Bau aus weißem Stein ragte am Ufer der Themse in Dowgate auf. Über dem Dach flatterten Fahnen im Rot und Silber des Neville-Wappens. Bei aller Pracht wirkte die Residenz einladend. Ich ermahnte mich, den Kopf hochzuhalten, und holte tief Luft, als wir anlegten.
Sir John Conyers half mir vom Kahn. Unter freundlichen Grußworten hier und da eskortierte er mich vorbei an livrierten Dienern, Wachen, Stallburschen und Knappen und durch einen wunderschönen Torbogen in einen ummauerten Hof. Wir nahmen eine Treppe über dem Lagerraum für Ale und Wein zu den Privatgemächern des Earl of Salisbury. Dort verabschiedete sich Sir Conyers mit einer galanten Verneigung von mir.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Neben dem Stuhl seines Vaters stand John; die beiden waren in ein Gespräch vertieft. Ein Blick sagte mir, dass man Bedienstete und Gefolgsleute weggeschickt hatte. Der Kammerdiener kündigte mich an, und John blickte auf. Ich stand wie angewurzelt da, suchte in seiner Miene nach Hinweisen, welche Nachricht mich erwartete, doch vor lauter Furcht erkannte ich gar nicht gleich, dass er förmlich glühte vor Freude. Ein seltsamer, heißkalter Schauer durchfuhr mich. Himmlischer Vater, gute Neuigkeiten! Kann es wahr sein?
John kam auf mich zu, wobei er so merkwürdig langsam schritt, dass er fast zu schweben schien. Meinen Blick einzig auf ihn gerichtet, zuckte ich zusammen, als ich das Schaben eines Stuhls hörte und eine Männerstimme, die sagte:
»Kommt herein, liebe Lady Isobel! Wir erwarten Euch bereits.«
Das Herz pochte mir im Hals, und ich war sicher zu stolpern, als ich wagte, einige Schritte vorwärtszutreten. John nahm meine Hand und legte einen Arm um meine Schultern, während ich verwundert zu ihm aufschaute. Er führte mich zu seinem Vater, der sich erhoben hatte und nun vor einem Maßwerkfenster stand, das auf den funkelnden Fluss hinausging.
Der Earl betrachtete mich freundlich. »Mein Kind, ich weiß, Ihr wollt dringend die Neuigkeiten hören, deshalb wollen wir alles Weitere vorerst aussparen und unverzüglich zum Eigentlichen kommen. Die Königin hat Eurer Verlobung
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