Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
Wort halten und sie am Leben lassen? Würde sie die Brüder freilassen oder auf immer im Kerker? Eines war gewiss: Falls die Königin die Schlacht gewann, würde sie Percys aussenden, um Middleham und Raby einzunehmen und uns auf die Straße zu jagen. Und weil wir wegen Hochverrats enteignet würden, dürften wir keine Gnade erwarten. Selbst im Falle einer Begnadigung wären wir obdachlos, genau wie all unsere Freunde und Angehörigen.
Zwei Wochen vergingen, ohne dass ein Bote eintraf. Nachts plagten mich schreckliche Träume, sofern ich überhaupt schlief. Dann, eines Tages, erklangen Fanfaren im Dorf. Ich ließ die Gänseblümchenkette fallen, die ich auf einem kleinen Rasenstück am Teich mit Annie und Izzie wand, und stand auf. Mein Herz klopfte schneller. Überall erstarrten die Bediensteten mitten in ihrer Arbeit, bevor sie schreiend in die Burg, die Küchen und die Stallungen rannten, wo immer sie glaubten, Zuflucht zu finden. Die Landsknechte hingegen packten ihre Waffen und eilten zu den Zinnen hinauf. Ich bemühte mich, meine entsetzliche Angst zu bändigen, nahm meine kleinen Mädchen und lief mit ihnen in die Kapelle. Dort sank ich vor dem Altar auf die Knie, schloss die Augen und sprach das Ave Maria.
»Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum …«
Von draußen war ein Aufruhr zu hören. Ich kniff die Augen fester zu, murmelte das Ave lauter. Auf einmal kam Rufus wild bellend in die Kapelle gesprungen.
Nun sah ich doch hin und entdeckte John, der mich anlächelte. Im flackernden Kerzenschein sah er wie ein Erzengel aus. Ich blinzelte, wollte meinen Augen nicht trauen. John? Langsam richtete ich mich auf. Meine Hand zitterte, als ich sie zu seinem Gesicht hob, weil ich mich versichern musste, dass er keine Traumgestalt war, sondern wirklich vor mir stand. Seine Wange war rau vom Bartwuchs, aber ich konnte immer noch die Grübchen sehen, die ich so sehr liebte. Ich strich über sein Kinn und seine Nase, beides fest wie immer; auch sein Haar war so dicht, wie ich es in Erinnerung hatte. Seine blauen Augen betrachteten mich mit einer Dringlichkeit, dass ich weiche Knie bekam.
John war wohlauf.
Er ergriff meine Hand und küsste die offene Innenfläche. Die Berührung seiner Lippen war von einer fast unerträglichen Zärtlichkeit. Dann sah er mich wieder so an wie in Barnet, als ich alles riskiert hatte, um ihn vor Somersets Hinterhalt zu warnen.
»Mein Engel«, sagte er, »meine Liebste …«
Ich warf mich mit einem Aufschrei in seine Arme, vergrub das Gesicht an seinem Hals. Während ich Freudentränen weinte, hielt er mich in den Armen. Wie oft hatte ich geträumt, von ihm umarmt zu werden? Nun endlich umfingen mich seine starken Arme wieder! Mein Puls rauschte mir in den Ohren, als ich lachte. Ich hatte beinahe vergessen, wie viel wahres Glück im Lachen lag. Meines hallte durch die Kapelle, und die Kerzen flackerten von meinem Atem. »John, John …« Meine Stimme zitterte genauso sehr wie meine Hand, und das Leuchten in Johns Augen blendete mich. »Mein Liebster, meine Liebe … Dank sei Gott, oh, mein Liebster!« Zwischen Schluchzen und Lachen küsste ich ihn; ich liebkoste seine Wangen, seine Nasenspitze und konnte gar nicht genug bekommen.
»Wer it dat, Mama?«, fragte eine zarte Stimme. Ein kleiner Troll mit blauen Augen und kastanienbraunem Haar trat hinter mir hervor und gleich darauf noch einer.
Ich löste mich aus Johns Armen und sah meine Kinder an. »Dat« , antwortete ich lachend, »ist euer Papa.« Tränen kullerten mir über die Wangen.
15
I NTERMEZZO 1460
Dauerregen vernichtete das Obst an den Bäumen und das Korn auf den Feldern. Er unterspülte Häuser, Brücken und Mühlen. Für mich jedoch schien die Sonne in jenen gesegneten Sommertagen des Jahres 1460 heller denn je und erfüllte Middleham mit Glück. Wir stießen auf die Freiheit, auf uns und auf Yorks Sieg über Lancaster in der Schlacht von Northampton an und feierten ausgelassen. Tagelang wollte mein Blick nicht von Johns Gesicht weichen, so schön erschien er mir, so wohl tat es mir, dass er zu Hause war. Manchmal streckte ich die Hand aus und berührte ihn, nur um mich zu vergewissern, dass er wirklich hier war, hatte ich doch schon einen John verloren. Als ich ihm von unserem tot geborenen Baby erzählte, nahm er mich für einen langen Moment in die Arme, ehe er mich stumm wieder freigab. Sein Kummer war zu groß, um ihn in Worte zu fassen. Später ritt John allein aus.
In jener Nacht schlief ich nicht. Ich lag
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