Die Herrin des Labyrints
Ausgang bis zum Wecken.«
»So war die Einladung nun auch wieder nicht gemeint.«
»Dann Kaffee. Und Cognac. Und dann sehen wir weiter.« In Patricks Zimmer brannte noch Licht, aber in der Küche fanden sich die deutlichen Spuren eines verfressenen Halbwüchsigen. Ich stellte die Kaffeemaschine an.
KAPITEL 44
Des Rätsels Lösung I
»Da, schwarz wie deine Seele. Nachdem du mich beim Essen wie eine Zitrone ausgepresst hast, werde ich den Spieß jetzt umdrehen, und du wirst mir Rede und Antwort stehen«, drohte ich mit einem Lächeln, als ich ihm die Tasse reichte.
»Was aus meiner finsteren Vergangenheit möchtest du wissen?«
»Oh, darüber lieber nichts, was ich nicht schon wüsste.« Vorsicht Amanda, hier begibst du dich auf selbstgemachtes Glatteis, mahnte ich mich. »Ich habe hier ein Rätsel, das zu lösen für einen so intelligenten Menschen wie dich ein Kinderspiel sein wird. Mir und einigen anderen ist es allerdings bisher nicht gelungen.«
Ich legte ihm die Abschrift von Gitas Gedichtzeilen vor, er las sie mehrmals und schüttelte dabei immer wieder den Kopf.
»Ziemlich mysteriös. Kannst du mir etwas zum Zusammenhang sagen, in dem das entstanden ist oder wo du das gefunden hast?«
In einer kurzen Zusammenfassung erzählte ich von den Testamentsbedingungen und schloss dann: »Keiner weiß, worum es sich bei diesem Vermächtnis von Gitas Mutter handelt, doch Nandimeinte, einen großen materiellen Wert könne es nicht darstellen. Aber neugierig gemacht hat es mich doch. Zumindest bin ich inzwischen soweit, anzunehmen, die Lösung müsse irgendetwas mit dieser Münze zu tun haben, die du mir gegeben hast.«
Ich legte ihm auch die Münze zu dem Gedicht, und er betrachtete aufmerksam den Kopf der Göttin und das Labyrinth auf der anderen Seite.
»Nun ja, Amanda, der Zusammenhang ist doch offensichtlich. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
»Was? Nein!«
Ich war aufgestanden und setzte mich auf die Sessellehne, um die Münze in seiner Hand zu betrachten. Es traf mich wie ein Blitzschlag, als ich das Labyrinth im Licht der Lampe aufleuchten sah.
»Wer wandert, der findet den Weg, der sich windet. Den wandelt die Mitte, der lenkt seine Schritte von innen nach außen.«
Leise sagte ich die Verse vor mich hin. Natürlich, der gewundene Weg von außen nach innen und wieder von innen nach außen!
»Eben. Jetzt müssen wir nur herausfinden, wer die Dame auf der anderen Seite ist, nicht wahr?
»Und wen auf dem Weg das Schicksal berührt, der nenne mir die, die den Tanz anführt.
Der Honig im Topf ist ihr zugedacht, die in der Mitte des Herzens erwacht.«
»Das ist eine griechische Göttin, mein Vater meinte Demeter oder Persephone. Von denen hat aber meines Wissens keine irgendwelche Tänze angeführt.«
»Das ist allerdings richtig, vielleicht war das etwas vorschnell gedacht. Das kretische Labyrinth verbindet man immer eher mit Ariadne.«
»Nun ja, ein Stückchen sind wir jedenfalls weitergekommen. Möglicherweise erinnert sich Henry ja noch an andere Bruchstücke, die ihm Josiane dazu erzählt hat. Ich denke immer, es muss eine sehr einfach Lösung geben, wenn man davon ausgeht, dass Gita wollte, dass ich das Rätsel löse.«
»Wie gut kannte dich Gita?«
»Wahrscheinlich besser als ich mich selbst«, seufzte ich und ließ mich zurück in meine Sofaecke gleiten.
»Sieh mal, da ist von einer Tänzerin die Rede. Wusste sie von deiner Liebe zum Tanz?«
»Sie wusste, dass mich Nicole in einen Kurs mitgeschleppt hat. Aber mehr auch nicht.«
Mir war unbehaglich zumute, als er auf dieses Thema anspielte. Das war zu dicht an den Dingen, über die ich nicht sprechen wollte.
»Hast du Halima gefragt?«
»Zum Ariadne-Mythos, ja. Und Patrick auch. Er hat mich auf den Widerspruch in der Geschichte aufmerksam gemacht. Im Labyrinth verirrt man sich nicht, also brauchte Theseus auch keinen roten Faden, um wieder herauszufinden.«
»Stimmt, im Labyrinth verliert man sich nicht, im Labyrinth findet man zur Mitte. Wusstest du, dass das Labyrinth auch ein Symbol des Lebenswegs ist?«
»Ist es das?«
»Denk mal darüber nach.«
Ich rührte in meinem inzwischen erkalteten Kaffee und fand den Gedanken plötzlich gar nicht so verkehrt. Zumindest was mich betraf. Meine Suche nach meiner Identität war gewunden verlaufen, mit Umwegen und unerwarteten Wendungen. Aber sie hatte mich zu einer Mitte geführt, die mich in der Tat verwandelt hatte.
»Danke, Damon«, sagte ich leise, als mir das klargeworden war.
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