Die Herrin des Labyrints
Ein großes Gästezimmer für Henry wäre auch da. Titi würde den Garten innig lieben – die alten Bäume erklimmen, unter den dichten Hecken schlummern und die gewiss zahlreichen Mäuse aufstöbern.
Aber Patrick würde nicht mehr oft bei mir sein, Henry kam immer nur für ein paar Tage, und ob Damon seine Wohnung aufgeben würde …
Träume eben. Für zweieinhalb Personen – eine Amanda, eine Titi und einen halben Patrick – war das Haus viel zu groß. Hier müsste eine Familie wohnen und arbeiten, so wie damals, als das Haus gebaut wurde. Ein bisschen wehmütig ging ich nach unten, zog sacht die Haustür hinter mir zu und schloss ab.
Fast zwei Stunden hatte ich mich in der Villa aufgehalten und meinen Visionen nachgehangen. Es wurde Zeit, dass ich mich um ein paar Arbeiten in meinem Haushalt kümmerte. Aber als ich ankam, wurde meine Vorstellung von einem gemütlichen Bügelnachmittag auf der Terrasse jäh umgestoßen. Der Anrufbeantworter blinkte, und als ich ihn abhörte, fand ich zwei Nachrichten von Patricks Freund Timo vor. Die erste war kurz nach meinem Weggang eingegangen, und Timo mahnte Patrick, sich endlich auf den Weg zu machen, damit sie losfahren konnten. Die zweite war erst eine halbe Stunde her und klang enttäuscht. Es sei schade gewesen, dass Patrick nicht mitgespielt hatte, nur er hätte die Ehre der Mannschaft retten können.
Eine kalte Angst packte mich. Patrick war ausgegangen, offensichtlich kurz bevor ich mittags zu Hause eingetroffen war. Er war aber nicht bei Timo, der nur auf der anderen Seite des Ortes wohnte, eingetroffen. Er war auch nicht in der Sporthalle angekommen. Was war mit meinem Sohn passiert? Ein Unfall? Kaum möglich. Unser Wohngebiet war ruhig, Durchgangsverkehr gab es so gut wie keinen. Ich dachte nach. Erst Timo, dann Damon, dann weitersehen.
Timos Mutter war am Apparat. Sie bestätigte mir, dass die Jungs sich um zwei verabredet hatten. Sie hatten bis Viertel nachgewartet, mussten aber dann losfahren, um nicht zu spät zu kommen. Sie waren noch nicht zu Hause, müssten aber im Laufe der nächsten Stunde eintreffen.
»Richten Sie Timo bitte aus, er möchte mich sofort anrufen. Ich würde schon gerne wissen, ob irgendetwas vorgefallen ist.«
»Das werde ich machen. Aber regen Sie sich nicht zu sehr auf, diese Jungs kommen manchmal auf abenteuerliche Ideen. Vielleicht fand Patrick das Wetter viel zu schön, um in der Halle zu spielen, und ist ins Schwimmbad gefahren.«
Es war ein wohlgemeinter Versuch, mich zu beruhigen, aber wenn das der Fall gewesen wäre, hätte mein pflichtbewusster Sohn zumindest seinem Trainer Bescheid gesagt, dass er nicht mitkommen würde.
Damon war nicht zu Hause. Ich sprach auf seinen Anrufbeantworter, fragte aber nur, ob Patrick sich zufällig bei ihm gemeldet hatte. Dann fiel mir ein, dass ich ja auch seine Handynummer hatte, doch auch hier begrüßte mich nur die Mailbox. Der nächste Anruf galt Halima. Ihre Stimme auf Band sprach von den Öffnungszeiten des Studios. Im Hotel, in dem Henry sich ein Zimmer genommen hatte, sagte man mir, der Herr Vanderhorst habe sich einen Mietwagen kommen lassen und sei fortgefahren.
Nervös tigerte ich durch das Haus und versuchte, mir eine harmlose Erklärung für Patricks Verschwinden zu geben. Er würde sich schon melden, wenn er Probleme hatte. Er könnte den Bus genommen haben, als er merkte, dass die anderen schon weg waren. Er könnte Henry getroffen haben und mit ihm unterwegs sein. Außerdem – der Junge war jetzt seit zwei Uhr fort. Es war kurz nach fünf, wahrscheinlich würde er gleich mit brüllendem Hunger vor der Tür stehen. Ich rügte mich selbst, ich war doch sonst nicht so ängstlich.
Aber ich konnte mich nicht beruhigen. Als Nächstes beschloss ich, Patricks Trainer anzurufen, aber der war wie zu erwarten noch unterwegs, und seine Frau wusste auch nicht, wann er zurückkommen würde. Dann versuchte ich, Nandi zu erreichen, von dem ich Nicoles Adresse haben wollte, bei ihm nahm überhaupt niemand ab.
Die Unruhe in mir wurde immer größer, und schließlich zog ich meine Joggingschuhe an und machte mich zu Fuß auf den Weg zu Timos Eltern, einfach um zu sehen, ob es irgendeinen Hinweis auf dem Weg gab. Blödsinnig, ja, aber einfach sitzen und warten konnte ich nicht. Es gab zum Glück nicht viele Möglichkeiten, von einem Haus zum anderen zu kommen, man musste quer durch das Dorf und auf der anderen Seite den Hügel hinauf. Es war ein Weg von etwa zwanzig Minuten, wenn man
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