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Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Verbot meiner Mutter hinweggesetzt. Ich wollte diese exotische Fremde kennenlernen. Es gab da im Garten eine Möglichkeit, zu ihr hinüberzuschlüpfen. Heute glaube ich, Josiane war oft einsam, sonst hätte sie sich mit mir neugierigem Mädchen nicht so viel abgegeben. Aber ich war so bezaubert von ihr, dass ich meine Aufdringlichkeit nicht bemerkt habe. Sie erzählte von ihren Reisen durch fremde Länder, von prächtigen Hotels, von Nachtclubs und Spielkasinos. Sie zeigte mir ihre Abendkleider und den Schmuck und ließ sie mich anprobieren.«
    Halima lachte leise auf.
    »Ich tanzte darin für sie. Ich war verrückt nach Tanzen und träumte davon, in den großen Clubs aufzutreten. Ein Traum, den ich meinen Eltern verschwieg, denn bei uns werden Tänzerinnen zwar bewundert, als Frauen sind sie allerdings völlig inakzeptabel und gesellschaftlich geächtet. Aber Josiane gegenüber konnte ich von meiner Sehnsucht sprechen. Sie bestärkte mich dadurch, dass sie mich bewunderte. Manchmal aber erzählte sie auch von ihrer Heimat Deutschland. Doch dann klang immer ein schmerzlicher Ton mit. Ich weiß nicht, ob sie Sehnsucht danach hatte, zu ihrer Familie zurückzukehren, oder Sehnsucht nach dem Land. Sie konnte die Wälder und Wiesen und den kalten Winter so lebhaft schildern, dass ich davon träumte, sie zu sehen. Ich wollte immer mehr von diesem Land hören, das für mich so fern wie der Mond war. Ich stolperte durch mein Schulenglisch, und irgendwann fing Josiane an, mir ein paar Worte Deutsch beizubringen. Noch aufregender wurde meine Beziehung zu ihr, als ich bemerkte, dass sie schwanger war. Sie sprach nie von dem Vater des Kindes, aber es schien sie auch nicht besonders zu wundern, dass er nicht zu ihr kam.«
    Ich musste vernehmlich die Luft eingesogen haben, denn Halima stockte in ihrer Erzählung, und ihr Blick, der weit in der Vergangenheit geruht hatte, konzentrierte sich wieder.
    »Es gibt also wirklich ein Kind?«
    »Ja, natürlich. Ist das wichtig für dich?«
    Da ich weder von Gita noch von der Erbschaft etwas hatte verlauten lassen, musste dieser Einwand für sie ein wenig erstaunlich klingen.
    »Ja, es ist in einem bestimmten Zusammenhang wichtig. War es ein Junge oder ein Mädchen?«
    »Ein Mädchen. Aber als das Kind geboren wurde, entdeckten meine Eltern, dass ich mich heimlich mit ihr traf. Es fielen sehr ernste Worte über unschickliches Benehmen. Die kleine Pforte im Garten wurde durch einen soliden Zaun ersetzt. Danach konnte ich Josiane nur noch hin und wieder vom Fenster aus zuwinken. Gesprochen habe ich mit ihr erst wieder, als sie auf der Straße vor unserem Haus lag. Sterbend, von einer verirrten Kugel getroffen. Das war gut zwei Jahre später.«
    Halima schwieg, und ich bemerkte die Trauer, die sie umgab. Ich fühlte mit ihr. Es war so ein sinnloses Ende eines wahrscheinlich nicht sehr glücklichen Lebens.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fuhr Halima fort: »Josiane hat immer wie eine fröhliche und sogar übermütige junge Frau gewirkt. Wie eine, die zu keinem Flirt nein sagte und leichtherzige Vergnügungen liebte. Aber sie war hinter dieser Fassade mit sich selbst nicht einig. Schon damals spürte ich das, und dann tat sie mir leid. Sie wirkte, als hätte sie sich auf die Suche nach etwas gemacht und dann festgestellt, dass sie sich auf dem Weg verirrt hat. Aber zurück zu den Ereignissen. Als diese Unruhen in unseren Straßen tobten, hatte ich voller Angst hinter den Fensterläden gesessen und hinausgestarrt. Darum konnte ich beobachten, was geschehen war. Josiane war mit ihrer kleinen Tochter im Park gewesen. Dort musste sie von dem gewalttätigen Haufen überrascht worden sein. Sie war deshalb nach Hause gelaufen. Das Durcheinander war unbeschreiblich. Eigentlich war es auch mehr eine Massenschlägerei als eine Schießerei. Josiane war das einzige todesopfer. Als ich sie hinfallen sah, habe ich mir die Melaya umgeschlungen, die meine Großmutter noch immer zu tragen pflegte, wenn sie das Haus verließ. Ich bin hinausgelaufen, ohne auf die Proteste meiner Leute zu achten. Unbesonnen, ich weiß. Aber so nur konnte ich das kleine Mädchen in Sicherheit bringen.Josiane hatte keine Chance mehr, und das Einzige, was sie noch flüsterte, war: ›Bring sie nach Hause.‹«
    »Meine Güte, was für eine Geschichte.«
    »Ja, sie hatte durchaus eine gewisse Dramatik. Nicht nur für Josiane, sondern auch für mich. Es war der definitive Wendepunkt in meinem Leben, Amanda. Aber das ist eine

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