Die Herrin des Labyrints
mitsamt Koffern in ein kleines Hotel fahren. Dort plante ich meine nächsten Schritte für mein neues Leben.«
Ich war enttäuscht, und man hörte es meiner Stimme an, als ich sagte: »Dann kann ich also noch immer nicht sicher sein, ob ich dieses Kind wirklich bin. Wer weiß, wer Josianes Tochter gefunden hat. Und wer weiß, wer ich bin.«
»Du weißt, wer du bist, Amanda.«
»Nein, eben nicht. Ich habe absolut keine Erinnerung an diese Zeit. Müsste es da nicht wenigstens einen winzigen Ansatzpunkt geben?«
»In deinem Bewusstsein wahrscheinlich nicht. Du warst erst zweieinhalb Jahre alt, und da gehen die Eindrücke noch ein wenig durcheinander. Vor allem aber kann es natürlich sein, dass du einen Schock erlitten und alles, was in der Zeit vorher geschehen ist, ganz tief nach innen verdrängt hast. Aber wer immer dich aufgenommen hat, muss die Tasche mit deinen Sachen gefunden haben und auch das, was du am Körper getragen hast. Ich bin mir sicher, dass deine Eltern diese Dinge aufgehoben haben.«
»Nein, ich hatte so etwas auch gehofft, aber ich habe nichts gefunden außer einem Hinweis, dass meine Adoptiveltern zu dieser Zeit in Kairo lebten. Mein Vater war Lehrer am Goethe-Institut, und ich glaube, meine Mutter hat hin und wieder als Krankenschwester gearbeitet.«
»Finde heraus, wo. Vor allem suche weiter nach alten Kinderkleidern oder Unterlagen. Ich werde mich erinnern, wenn ich sie wiedersehe. Auf jeden Fall solltest du aber nach einer Art Talisman suchen. Josiane hatte eine alte Münze, die sie von ihrer Mutter bekommen hatte. Ich weiß nicht, was sie ihr bedeutet hat, denn ich habe mich nie getraut, sie zu fragen. Aber sie trug sie immer bei sich, und sie war auch in ihrer Handtasche. Darum habe ich sie dem kleinen Mädchen in die Windeln gesteckt.«
»Eine Münze? Eine alte Münze mit einem Frauenkopf auf der einen und einem Kreismuster auf der anderen Seite?«
Wieder ein Puzzlesteinchen mehr!
»Kennst du diese Münze?«
»Nur ein Foto. Ich denke, jetzt bin ich an der Reihe zu erzählen.«
»Ich bin gespannt!«
Wir lehnten beide ein Dessert ab, das uns der Ober anbieten wollte, und ich berichtete von meinen Adoptiveltern, ihrem Tod und meiner Bekanntschaft mit Gita, ihrer Familie und vor allem mit Nandi und seiner Freundin Nicole.
»Da also kommt Nicole ins Spiel«, meinte Halima, als ich fertig war. »Interessant.«
»Was ist daran interessant?«
»Vieles, aber weißt du eigentlich, wie spät es ist? Man schickt uns schon recht deutliche Blicke. Wir wollen in den nächsten Tagen weiterreden. Doch vielleicht wirst du jetzt einen Rat von mir annehmen?«
»Rate mir.«
»Halte dich von Nicole fern!«
»Sie ist so ziemlich meine einzige Freundin.«
»Da wäre ich nicht so sicher, Amanda. Aber ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen, dass ich weiß, was ich sage.«
»Wenn du meinst.«
Teil II
EIN SCHMERZLICHER WEG NACH AUSSEN
KAPITEL 24
Die Grenze
Ich kann nicht behaupten, dass Halimas Bericht meine innere Ruhe gefördert hätte. Zu meiner äußeren hatte es auch nicht beigetragen. Als erste Konsequenz gab es wieder eine Auseinandersetzung mit Ulli, der sich über mein langes Ausbleiben geärgert hatte. Seine Vorwürfe trafen mich tief, denn es steckte eine unleugbare Wahrheit darin. Ich hatte seine Existenz schlichtweg vergessen.
»Seit du mit dieser Zappeltante zusammen bist, bin ich völlig unwichtig geworden«, hatte er gefaucht. Eigentlich hatte ich ihm von meinen Vermutungen über meine Herkunft und Halimas Geschichte berichten wollen, aber er war viel zu wütend auf mich, und darum hüllte ich mich in trotziges Schweigen. Patrick hatte ihn auch wieder verärgert, erfuhr ich am nächsten Tag. Ulli hatte während seiner Abwesenheit den PC in seinem Zimmer benutzt und irgendetwas nicht richtig abgespeichert oder verändert. Patrick hatte sich ungewöhnlich heftig darüber aufgeregt und ein paar nicht wiedergutzumachende Bemerkungen losgelassen. Das war Ullis Bericht dazu, und da ich wusste, dass mein Sohn manchmal eine ausnehmend arrogante Art hatte, jemandem zu zeigen, für wie minderwertig er ihn hielt, verstand ich seinen Ärger. Ein Vermächtnis seines Vaters, wie ich nur allzu gut wusste. Patrick hüllte sich in störrisches Schweigen, als ich ihn zur Rede stellte, und weigerte sich, eine Entschuldigung auszusprechen. Ulli war auch nicht bereit, sich für sein ungefragtes Eindringen in Patricks Privatsphäre zu entschuldigen. Das wiederum machte mich ebenfalls
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