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Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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tanzen willst, lass ich dir die CDs hier. Ruf mich morgen an, und erzähl mir, was los ist, ja?«
    Man konnte ihren Abgang nur als fluchtartig bezeichnen, und ich blieb alleine inmitten von Duft und zarten Tongespinsten zurück. Nach oben gehen mochte ich noch nicht, zuerst musste ich mich etwas beruhigen. Ich nahm das letzte Räucherkegelchen aus der Packung, die Nicole mitgebracht hatte, und zündete es an. Anders als die vorherigen war es nicht rot, sondern hellbraun, aber der Rosenduft war mir sowieso schon zu süßlich geworden.
    Es war eigentlich kein Tanz, es waren nur ganz vereinzelte Bewegungen, die ich machte, während ich die rotgoldene Flamme im Spiegel beobachtete. Funken und kleine Blitze sprühten da und dort auf, wo sich das Licht in den Strasssteinen brach, wie roter Nebel umwogte der Rock meine Beine. Ich löste die Haare, die ich zu einem Knoten aufgesteckt hatte, und ließ sie über den Rücken fallen. Allmählich entspannte ich mich wieder. Meine Handgelenke wurden weich und zogen kleine Wellen durch die Luft, meine Schultern lockerten sich, die Arme wanden sich schlangengleich nach oben. Meine verkrampfte Bauchmuskulatur löste sich, und die Bewegungen wurden runder. Meine Hüften kreisten, bildeten kleine und große, verschlungene und einfache Kreise, immer um eine Mitte, die sich tief in mir befand. Meine Gedanken schwebten mit dem Rauch, und ein vertrauter, sinnbetörender Duft umfing mich. Er erinnerte mich an Geborgenheit und Vertrauen, an eine beschützende, sanfte Liebe, an etwas, nach dem ich mich immer gesehnt hatte, was aber für immer verloren war. Es war ein Verlust, der unendlich weh tat und doch erträglich war, weil in ihm ein anderes Versprechen lag. Ich tanzte, weil ich sonst den Schmerz nicht ausgehalten hätte, und ich tanzte, weil es in mir danach verlangte. Ich tanzte und bat mit diesem Tanz darum, das Ziel meiner Sehnsucht zu finden.
    Mit einem Klicken schaltete sich der Player aus, und mit einem Schlag wurde mir der Geruch bewusst. Sandelholz! Mich schüttelte es, und angeekelt packte ich das Räucherschälchen, brachtees in die Waschküche und ließ Wasser darüberlaufen. Dann riss ich die Kellerfenster auf und zog mich so hastig um, dass ich mir von den scharfkantigen Pailletten Kratzer an den ganzen Armen zuzog.
    Ulli war natürlich nicht sofort ausgezogen. Er saß vor dem Fernseher, nahm aber offensichtlich nichts von der Sendung wahr, sondern starrte nur in eine Ecke. Als ich nähertrat, zuckte er zusammen und meinte: »Oh, da bist du ja.«
    »Ja, da bin ich.«
    Er seufzte tief auf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Meine Wut war verflogen, und er tat mir wieder leid.
    »Amanda, ich weiß, ich wohne hier nur, weil du mich dazu eingeladen hast. Es ist dein Haus, und du hast selbstverständlich das Recht, darin zu tun und zu treiben, was du willst. Ich werde nichts mehr dazu sagen.«
    »Ist schon in Ordnung, Ulli.«
    Ich setzte mich zu ihm und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Ein Rest von dieser schmerzenden Sehnsucht war noch in mir, und seine körperliche Nähe wirkte tröstend auf mich. Er machte sich aber etwas steif und rückte von mir ab.
    »Amanda, wenn du hier oder in deinem Studio tanzt, dann ist das ganz deine Sache. Aber ich habe ein Problem damit, wenn das bekannt wird. Bitte versteh mich richtig. Ich habe gerade eine Chance bekommen, in eine höhere Position aufzusteigen. Ich werde auch manchmal mit unseren Kunden gesellschaftlich zusammenkommen, und da kann ich es mir einfach nicht erlauben, wenn es bekannt wird, dass du irgendeinen dubiosen Table-Dance betreibst.«
    Ich nahm abrupt meinen Kopf von seiner Schulter und sah ihn entgeistert an.
    »Was mache ich?«
    »Na, weißt du, es ist doch eine ziemliche Anmache, die da abgeht, wenn ihr Frauen so tanzt. Und dieses Kostüm …«
    »Irgendwo klemmt was bei dir, scheint’s!« Ich atmete tief durch und wollte ihm eine verbale Ohrfeige verpassen, als er plötzlicheinlenkte, meine Hände nahm und mir einen verletzten, flehenden Blick sandte.
    »Ja, Amanda, aber wozu ist denn sonst das ganze Theater gut?« Vielleicht mussten da wirklich ein paar Vorurteile ausgeräumt werden. Manchmal wurde mir klar, dass ich ihn eigentlich nicht besonders gut kannte.
    »Tja, wozu? Ich habe mit dem Tanzen angefangen, weil es mir gegen die Rückenschmerzen geholfen hat. Andere tanzen, weil sie ihre Figur straffen wollen, und manche nur einfach deshalb, weil Tanzen Freude macht. Ein paar tanzen auch, um sich

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