Die Herrin des Labyrints
mich jetzt einfach so links liegen?«
»Nein, natürlich nicht. Aber glaub nicht, dass ich mich hier besonders gut auskenne.«
»Du kriegst das schon hin!«
KAPITEL 30
Neuschaffung
Ich befand mich in einem eigenartigen Zustand der Teilnahmslosigkeit, nachdem ich die Münze und die Papiere erhalten hatte. Teilnahmslos war ich auch früher gewesen, aber es war anders als die ganzen Jahre zuvor. Da hatte ich mich als müde und mir selbst fremd empfunden, jetzt war es, als ob sich ein neues Muster in meiner Seele bildete, eines, das Zeit zum Wachsen brauchte und das ich nicht stören durfte. Also trug ich nach außen die Maske der alten Amanda und wartete ab, was sich tun würde. Am lebhaftesten sind mir aus jenen Wochen die wunderlichen Träume in Erinnerung, in denen ich immer wieder durch dunkle Strudel hindurch musste. Sie begannen bedrohlich, endeten aber damit, dass ich mich auf den Wogen einer schwarzen See treiben ließ, über dem sich ein nächtlicher Himmel voller Sterne wölbte. Nie schien jedoch ein Mond, nie endete die Nacht.
Bis ich dann, an einem Morgen im März, als ich aufwachte und das Fenster öffnete, die blutrote Geburt der Sonne erlebte. Dawusste ich, dass die Zeit des Wartens vorüber war. Ich fand mich voller Tatendrang und begann mit der Bestandsaufnahme meines Lebens.
Was mir die wenigsten Sorgen machte, war mein Studienabschluss. Bislang hatte ich zügig gearbeitet und war mit dem Ergebnis zufrieden. Ich hatte einen materiellen Beweis – zumindest für mich –, dass ich wirklich Gitas Enkelin war, und wahrscheinlich würde auch Halimas Bekannter irgendwann eine Urkunde ausfindig machen, mit der ich meine Identität bei den Nachlassverwaltern nachweisen konnte. Bis dahin würden die Zahlungen für die Suche weiterlaufen. Ich hatte auch Damons Adresse, und Patricks zwölfter Geburtstag stand kurz bevor. Vielleicht kein schlechter Anlass für ein Treffen der beiden. Nicht hier, nicht mit mir, aber der Besuch einer Ausstellung oder so etwas würde sich sicher arrangieren lassen. Ich schrieb Damon einen Brief in sehr geschäftsmäßigem Ton, ohne auf die Vorkommnisse der jüngeren Vergangenheit auch nur andeutungsweise Bezug zu nehmen. Soweit es mich betraf, waren sie nie geschehen.
Dann musste ich mich wieder verstärkt um Ulli kümmern, ich hatte ihn in den letzten Tagen ausgesprochen selten gesehen, ihn aber nicht gefragt, was ihn so beschäftigte. Früher hatten wir uns gegenseitig immer unsere berufliche Anspannung vom Herzen geredet, aber seit ich an meiner Diplomarbeit schrieb, war es von Monat zu Monat seltener geworden, dass wir über unsere täglichen Erfolge oder Niederlagen geredet hatten.
Bevor ich mich jedoch um ihn kümmern konnte, erhielt ich einen Anruf von Nicole. Als ich ihre Stimme hörte, hatte ich schon die Befürchtung, sie würde wieder anfangen, mich für den verpatzten Auftritt niederzubügeln, aber glückliche Nicole, die leicht vergaß, hatte einen ganz anderen Grund, mit mir wieder Kontakt aufzunehmen.
»Hallo, hallöchen, wie geht’s dir?«, trillerte sie vergnügt in den Hörer und ließ dann eine Schwalldusche von Superlativen über mich rauschen, die ihre persönliche Befindlichkeit betrafen. Offensichtlich befanden sich Nandis und ihre Angelegenheiten auf dem besten Wege, geregelt zu werden.
»Und du brauchst auch nicht weiter nach Josianes Kind zu suchen, wir haben unwiderlegbare Beweise, dass es kurz nach Josiane gestorben ist.«
Ich spürte noch nicht mal einen Hauch von Zweifel. Was immer sie an Unwiderlegbarem hatte, ich würde es widerlegen können. Aber mein Interesse hatte sie dennoch geweckt.
»Komm doch heute am Abend vorbei, dann zeig ich dir das Schreiben.«
Ulli würde noch einen Abend ohne meine Fürsorge auskommen. Ich rief ihn an und teilte ihm mit, ich würde zu Nicole gehen.
»Ist in Ordnung, ich habe auch noch länger zu tun heute. Kann sein, dass ich sogar nach dir komme.«
Nicole hatte sich eine neue Frisur zugelegt und sich frische Strähnchen ins Haar färben lassen. Ich bewunderte sie pflichtschuldig.
»Ja, schade, so eine irre weiße Strähne habe ich ja leider nicht. Da muss schon mal die Chemie nachhelfen. Du siehst übrigens auch gut aus. Irgendwie ausgeruht.«
»Ich habe ein bisschen gefaulenzt in den letzten Tagen. Das musste einfach mal sein.«
»Dann kannst du ja auch die jugendliche Brautjungfer spielen.«
»Wow! Wann ist es so weit?«
»Im Sommer. Die Scheidung läuft. Ich denke, bis Ende des Jahres ist sie
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