Die Herrin des Labyrints
gefunden habe oder mich erinnert habe, melde ich mich. Aber ich würde dir vorschlagen, du redest nicht mit zu vielen Leuten über diese Sache. Dieser Unfall mag nichts zu bedeuten haben, aber man weiß ja nicht …«
»Du redest wie Halima.«
»Halima ist eine außergewöhnliche Frau. Ich denke, ihr kannst du vertrauen.«
»Das hat so seine Haken, Henry. Aber ich gebe mir Mühe.«
»Man kann sich nicht ›bemühen‹, jemandem zu trauen, Amanda. Man tut es, oder man lässt es. Ich für meinen Teil vertraue ihr. Aber du musst es halten, wie dein Gefühl es dir sagt. So, und nun muss ich mich wirklich verabschieden.«
Henry war fort, und Patrick kam kurz darauf mit Damon zurück.
»Brauchst du Hilfe in den nächsten Tagen, oder kommst du alleine zurecht?«, fragte Damon, als er Titis Transportkorb abstellte. Die weiße Katze trollte sich aus dem Korb und strich ihm schnurrend um die Beine. Eine hübsche Darstellung anmutiger Zuneigung. Er ignorierte sie. Darum sparte ich mir eine ähnliche Geste.
»Ich werde alleine fertig.«
»In Ordnung. Dann gehe ich jetzt.«
»Danke, Damon.«
»Nichts zu danken.«
Die Tür fiel hinter ihm zu, und ich stand mit einem leeren Gefühl in meinem Bauch im Flur.
»Baba, soll ich dir etwas zu essen machen?«
Das könnte gegen die Leere helfen, dachte ich mir und ging in die Küche.
Es half nicht.
Die ganze Woche über blieb ich im Haus, schlief viel und beobachtete den Heilungsvorgang der Prellungen und die schillernden Farbwechsel der blauen Flecken. Patrick schlich ziemlich oft um mich herum, und obwohl er nichts sagte, merkte ich doch, dass ihn dieser Unfall tief erschüttert hatte. Darum bezog ich ihn mehr und mehr in meine Überlegungen ein.
»Dieses Rätsel und die Münze …«, überlegte er laut. »Und Henry meint, beides stünde in einem Zusammenhang? Kann es sein, dass es was mit dem Labyrinth zu tun hat, das da drauf ist?«
»Ich weiß nicht, Patrick. Labyrinthe sind Irrgärten, und es gibt da eine alte Sage, in der das Labyrinth von Knossos eine Rolle spielt. Vielleicht hängt es damit zusammen.«
Ich hatte ein paar Bücher gewälzt und die Theseus-Sage gefunden. Irgendwo musste man ja anfangen.
»Erzähl sie mir, Baba!«
Mit freudig glänzenden Augen setzte sich Patrick zu meinen Füßen nieder und schenkte mir seine Aufmerksamkeit. Er war trotz allem Junge genug, um gerne Geschichten zu hören, vor allem, wenn sie von Helden und Kämpfen und Ungeheuern handelten. Alles das hatte ich ihm zu bieten.
»Es war vor langer Zeit, vor über dreitausend Jahren, da lebte auf Kreta der König Minos. Er erhielt von dem Meeresgott Poseidon einen wundervollen Stier zum Geschenk, den er ihm opfern sollte. Minos fand das aber zu schade und versteckte den Stier in seiner Rinderherde. Das erboste Poseidon, und er bestrafte den König.«
Alte Sagen sind ein wenig drastisch, und ich überlegte, wie ich meinem zwölfjährigen Sohn das Kapitel Sodomie nahebringen sollte.
»Was hat er denn gemacht?«, fordert Patrick, als ich etwas zu lange schwieg.
»Nun, Poseidon weckte in der Königin Pasiphae eine große Zuneigung zu dem Stier.«
»Oha, kommt jetzt die jungendfreie Fassung, oder malst du es mir etwas detaillierter aus? Ich meine, so fürs Leben?«
»Ich werde mir die Feinheiten sparen. Kurzum, Pasiphae brachte ein Ungeheuer zur Welt, ein Geschöpf mit menschlichem Körper, aber einem Stierkopf.«
»Ah, frühe Formen der Genmanipulation, oder?«
»So ähnlich. Und da siehst du mal, was dabei rauskommen kann! Man nannte das grässliche Geschöpf den Minotauros und sperrte es in das Labyrinth des Palastes ein, das extra zu diesem Zweck gebaut worden war.«
»Bescheuerte Typen, die Kreter!«
»Na, ich weiß nicht. Der Minotauros verlangte nämlich nach Menschenopfern. Aus dem eigenen Volk sollte aber das Futter nicht kommen, man sah sich nach Ersatz um. Die Zeiten waren rau, und die Kreter forderten von den Athenern, die sie besiegthatten, einmal im Jahr sieben junge Männer und sieben Mädchen als Tribut. Sie wurden in das Labyrinth geschickt, als Opfergabe an den Minotaurus.«
»Einmal im Jahr Futter? Das war aber ein genügsames Ungeheuer!«
»Wahrscheinlich hat er sich’s gut eingeteilt. Sag mal, schaudert dich das gar nicht?«
»Nö. Gibt schlimmere Storys. Und ich vermute, jetzt tritt der Held auf, ja?«
»Genau. Es gab nämlich in Athen einen Königssohn, der dem Spiel ein Ende machen wollte. Ihm taten die vierzehn Opfer mehr leid als dir. Theseus war sein
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