Die Herrin Thu
bereit“, sagte er leise. „Würdet ihr mir bitte folgen?“
„Ich würde lieber schlafen als essen“, meinte Nesiamun, als wir den Saal durch den Haupteingang verließen. Er begann eine Unterhaltung mit Men. Ich legte meine Hand auf Kamens Arm. Ehe wir zu den öffentlichen Eingängen des Palastes kamen, bogen wir links ab und durchschritten den Bankettsaal mit seinem Säulenwald, der sich um diese Tageszeit in düsteres Schweigen hüllte. Ein leichter Geruch nach schalem Weihrauch stieg mir in die Nase, dann traten wir durch die Säulenreihe hindurch, die als Wand diente, und hinaus in den gleißenden Sonnenschein.
Vor uns, jenseits des gepflasterten Wegs, den ich kannte, am privaten Arbeitszimmer des Pharaos und den Arbeitszimmern seiner engsten Berater, erstreckte sich ein Rasen mit einem großen Springbrunnen in der Mitte, dessen Wasser in ein Steinbecken plätscherte. Neben ihm hatte man ein Sonnensegel errichtet, das einen mit Gerichten beladenen Tisch beschattete. Diener standen daneben und warteten darauf, uns bedienen zu können. Kamen drückte mir die Hand, dann ließ er sie los und musterte das Essen. Ich ließ mich auf die Polster sinken, die überall verteilt waren, und auf der Stelle erschien ein Diener, bückte sich und schenkte mir Wein ein. Ein anderer legte mir ein Leinentuch auf den Schoß und stellte ein Tablett mit Essen neben mich.
Ich blickte mich um. Unsere Wachen waren uns gefolgt und umzingelten den Rasen in lockerer Aufstellung, nicht, wie mir sofort klar war, um Neugierige fernzuhalten, sondern um zu gewährleisten, daß sich niemand mit uns unterhielt. Mit den Angeklagten vielleicht? Nein, wir sollten wohl keine Gelegenheit haben, einen der Richter zu bestechen oder umzustimmen.
Kamen ließ sich neben mir ins Gras sinken. „Die eidesstattlichen Erklärungen sind interessant“, sagte er, nachdem er einen Schluck Wein getrunken hatte. „Wie haben die Verhörenden die Dienstboten nur dazu gebracht, daß sie die Wahrheit sagen? Alles stimmt mit deinem Manuskript überein, Mutter, aber nach deiner Verhaftung haben sie gelogen.“
„Weil ihre Gebieter am längeren Hebel saßen“, antwortete ich und sah zu, wie seine kräftigen Finger die appetitlichen Gerichte auf dem Tablett durchgingen. „Es gab keine Beweise, die sie gefährdet hätten. Heute ist alles anders. Kamen, ist dir am General etwas aufgefallen?“ Er warf mir einen nachdenklichen Blick zu.
„Ja“, sagte er knapp. „Paiis weiß irgend etwas, was wir nicht wissen. Das gefällt mir nicht. Und wo steckt der Seher?“ Der Appetit war mir vergangen. Ich leerte meinen Becher und hielt ihn hoch, damit man mir nachschenkte.
„Er fehlt nicht nur, sondern der Prinz hat ihn überhaupt nicht erwähnt, als er die Anklage vorgebracht hat“, erwiderte ich. „Selbst wenn die Behörden ihn nicht finden können, hätte er gewißlich dazugehört. Disenks und Kahas Erklärungen handelten natürlich nur von ihm, aber, Kamen, wo ist Harshiras Erklärung?“
„Der ist auch verschwunden“, sagte Kamen. „Hast du das nicht gewußt? Ich denke, er und Hui haben sich zusammen in Sicherheit gebracht.“
„Weiß Paiis, wo sie sind?“ Er zuckte mit den Schultern.
„Möglich. Aber ich werde den Verdacht nicht los, daß der Prinz Bescheid weiß.“ Ich blickte ihn entsetzt an und packte ihn am Arm.
„Ihr Götter, Kamen! Hat Hui ein Geheimabkommen mit der Doppelkrone geschlossen? Hat er Paiis und Paibekamun Hunro geopfert, um damit die eigene Haut zu retten? Oder sogar.“ Meine Finger bohrten sich noch tiefer in sein warmes Fleisch. „Sogar den Prinzen überredet, mich mit zu verurteilen?“
„Jetzt stellst du dich dumm an“, schalt er mich. „Der Pharao hat dich begnadigt. Du hast deine Strafe für deinen Anteil an der Verschwörung abgebüßt. Dir kann niemand mehr etwas anhaben.“ Ich ließ ihn los und blickte aus dem Schatten des Sonnensegels hinaus in den strahlenden Frühnachmittag.
Wenn du dich da nur nicht täuschst, dachte ich bei mir. Hui kann das, wenn er will. Das weiß ich. Verglichen mit dem bedächtigen, raffinierten Hui ist Paiis ein grober Tollpatsch. Hui hat etwas unternommen. Aber was?
Auf Kamens Drängen hin versuchte ich, ein paar Bissen von dem köstlichen Essen hinunterzuwürgen, das die Palastküche für uns gekocht hatte. Darauf lehnte ich mich in die Polster zurück und sah zu, wie sich das Leinendach in der launischen Brise bauschte. Men und Nesiamun waren in eine Unterhaltung über die Ausfuhr
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