Die Herrin Thu
Doppelkinns. Aber trotzdem war er noch immer ein beinahe vollkommenes Abbild männlichen Stolzes und männlicher Schönheit. Das wußte ich zu würdigen, obwohl er mir nicht mehr den Atem nahm. Er mußte meine ausgiebige Musterung bemerkt haben, denn er wandte mir den Kopf zu, und unsere Blicke trafen sich. Er hob eine dunkle, fedrige Braue und lächelte - ein Überlebender grüßte den anderen, und ich erwiderte das Lächeln. Es würde alles gut werden.
Der Herold hatte sich erhoben, und auf sein Zeichen hin wurde die Haupttür aufgemacht. Soldaten kamen hereinmarschiert, hinter ihnen die Gefangenen, von weiteren Soldaten flankiert und hinten abgeschirmt. Ich hatte sie mir in Ketten vorgestellt, doch sie gingen ungehindert - vermutlich ein Zugeständnis an ihren hohen Rang. Hinter ihnen schloß sich die Tür mit einem unheilverkündenden, hallenden, dumpfen Geräusch. Sie wurden zu Schemeln geführt, die an der Wand gegenüber von uns aufgereiht standen, und auf eine Anweisung des Herolds hin setzten sie sich.
Da waren sie, meine alten Freunde, meine alten Feinde, nicht in die schweißfleckigen, staubigen, schlichten Kittel gekleidet, die ich erwartet hatte, sondern in ihre eigenen prächtigen Gewänder. Alle waren geschminkt und mit Juwelen behängt. Paiis trug seine Generalsinsignien. Einen Augenblick lang war ich entrüstet, denn als man mich verhaftet und in die Zelle gebracht hatte, aus der Paiis gerade gekommen war, da hatte man mir alles fortgenommen. Die Richter waren zu mir gekommen, und ich war gezwungen gewesen, sie ungewaschen und spärlich bekleidet zu empfangen. Aber du bist nur eine Nebenfrau, ermahnte ich mich. Und noch sind diese Männer und Hunro nicht verurteilt. Ich musterte sie unbefangen.
Paiis hatte sich nicht viel verändert. Er hatte noch immer etwas ziemlich nachlässig Aufreizendes, war zu stark geschminkt, der Mund zu rot, die Augen zu dick mit Khol umrandet. Sowie er sich gesetzt hatte, fixierte er mich halb drohend, halb herausfordernd, wollte mich einschüchtern, doch ich blieb ungerührt. Früher hatte er mich erregt. Wie unschuldig ich doch gewesen war!
Mein Blick wanderte zu Paibekamun. Sein Gesicht war bleich. Er blickte starr geradeaus und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Dich hasse ich, dachte ich erbost. Dich sehe ich gern untergehen, du überheblicher, hämischer Mann. Du hast jede Gelegenheit genutzt, mich wortlos an meine bäuerliche Herkunft zu erinnern, auch wenn du mich in deiner Eigenschaft als Königlicher Oberhofmeister in das Schlafgemach des Pharaos einlassen mußtest, denn trotz deines Wunsches, den Pharao tot zu sehen, hast du ein böses Vergnügen an meinem Sturz gehabt. Hoffentlich ziehen sie dir bei lebendigem Leibe die Haut ab, ehe sie dich hinrichten.
Als ich Hunro ansah, wurde mein Zorn von einer Spur Mitleid und Scham gemildert, so wie ich schon bei meinem Besuch in ihrer Zelle empfunden hatte. Sie war angespannt, aber gefaßt, der Rücken aufrecht, die kleinen Füße in erlesenen Sandalen nebeneinandergestellt. Ihre Hand lag in der Hand des Mannes, der neben ihr saß, und nach kurzer Ratlosigkeit erkannte ich ihren Bruder Banemus, den General, der die meiste Zeit seines Lebens über Ägyptens südliche Garnisonen und Besitz in Nubien geherrscht hatte. Er war untersetzt und seine Haut war wettergegerbt, aber dennoch erinnerte ich mich an sein offenes, ehrliches Gesicht und wie ich mich für ihn erwärmt hatte, als ich ihn das eine Mal in Huis Haus erblickte. Den möchte ich nicht sterben sehen, dachte ich. Den trifft gewißlich nicht die volle Schuld wie Hui und Paiis. Bei ihren Machenschaften ist er meistens nicht dabeigewesen. Was die anderen anging, Mersura, Panauk, Pentu, so nahm ich sie kaum wahr. Sie bedeuteten mir nichts, und ich verschwendete keinen Gedanken an sie.
Lastendes Schweigen legte sich über den Saal. Jemand räusperte sich. Ein anderer ließ laut seine Armbänder klirren. Dann ging die kleine Tür zum letzten Mal an diesem Morgen auf, ein Beamter kam herausgeeilt, verbeugte sich tief vor dem Prinzen, stieg von der Estrade herunter und baute sich mitten im Saal auf. Er trug einen langen blauweißen Schurz und über einer Schulter eine breite weiße Schärpe. Sein rasierter Schädel war unbedeckt. Hinter ihm trug ein Schreiber einen hohen Papyrusstapel herein und ein Diener einen Klapptisch, den er vor dem Beamten aufstellte. Der Papierstapel wurde daraufgelegt. Der Schreiber setzte sich mit verschränkten Beinen neben ihn auf den
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