Die Herrin Thu
Fächerträger. Redenden, Königlicher Berater. Pen-Rennu, Königlicher Dolmetscher.“ Jetzt saßen alle wieder, insgesamt zehn Richter. In der darauffolgenden Pause verbeugte sich der Protokollordner vor dem Prinzen. Ramses nickte Zustimmung zu den Männern auf ihren Stühlen, die unter ihm aufgereiht saßen, und der Ordner wandte sich wieder zum Saal.
Der Herold stand noch immer. „Die Angeklagten sollen niederknien“, intonierte er. „Der Prinz verliest die Anklage.“ Die Gefangenen taten, was ihnen befohlen wurde; Paiis lässig, Hunro unbeholfen und eindeutig verstört. Als sie mit der Stirn den Fußboden berührt und sich wieder aufgerichtet hatten, fuhr Ramses fort. Er war sitzen geblieben, hatte die braunen Beine übereinandergeschlagen, und seine Arme ruhten locker auf den Armlehnen seines Throns.
„Der Protokollordner hat die formelle Anklage“, sagte er, „und wir alle wissen, wie sie lautet. Ich muß euch also nicht einzeln anklagen. Ihr seid alle der gleichen Verbrechen beschuldigt. Zum ersten des Hochverrats durch Ermordung des Königs, zu dem ihr ein unwissendes und irregeleitetes Mädchen als Werkzeug benutzt habt. Zweitens einer weiteren Verschwörung, dieses Mal zur Vernichtung von Beweisen, sowohl menschlichen als auch schriftlichen, die eure Sicherheit bedrohten. Ihr seid allesamt in Ägypten, nicht in irgendeiner barbarischen Provinz, und in Ägypten steht nicht einmal der Pharao über dem Gesetz der Maat. Es bekümmert mich, daß solch edles Blut so tief sinken konnte.“
Er sieht aber nicht bekümmert aus, dachte ich. Eher erleichtert. Er muß an Paiis und den übrigen öffentlich ein Exempel statuieren, und das ein für allemal, damit sich die Menschen in kommenden Jahren, wenn er auf dem Horusthron sitzt, daran erinnern, wie hoch der Preis für Verrat ist.
„Von euren Dienstboten, euren Familien und euren Freunden haben wir eidesstattliche Erklärungen“, schloß der Prinz. „Die Richter haben alle gelesen, doch der Protokollordner wird sie noch einmal laut verlesen, damit die Kläger Abweichungen im Inhalt feststellen können. Ihr dürft euch setzen.“ Er nickte einmal, und das brüsk. Der Protokollordner wählte ein Blatt Papyrus aus und holte tief Luft.
„Die Erklärung einer gewissen Disenk“, sagte er, „Kosmetikerin im Hause der Herrin Kawit zu Pi-Ramses, einst Kosmetikerin im Hause Huis, des Sehers.“ Das war das erste Mal, daß Huis Name erwähnt wurde, und es handelte sich um den Bericht der gezierten, hochnäsigen kleinen Disenk über die Zeit, als sie mich lehrte, wie man sich als Edelfrau benimmt, und draußen vor meiner Tür schlief, damit ich nicht herumstreunte. Doch meine Aufmerksamkeit galt Paiis. Der lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und lächelte. Dieser Mann weiß etwas, was wir nicht wissen, dachte ich plötzlich, und es überlief mich kalt. Er glaubt, daß er davonkommt. Warum? Weiß er, wo Hui steckt? Haben sie sich gemeinsam eine Überraschung für uns ausgedacht? Oder hat er es irgendwie geschafft, die ganze Schuld Hui zuzuschieben, denn anscheinend ist Hui in Sicherheit und außer Reichweite dieses Gerichts und kann nicht vernommen werden? Allmählich verspürte ich Zorn und Angst. Falls Paiis freikam, was wurde dann aus Kamen und mir? Würde Paiis uns aus reiner Rachsucht jagen und umbringen? Sehr wahrscheinlich. Ich versuchte, mich wieder auf Disenks Bericht zu sammeln, doch vergebens.
Die Lesung der eidesstattlichen Erklärungen nahm viel Zeit in Anspruch, und im Saal war es stickig und heiß, als der Protokollordner mit mittlerweile heiserer Stimme die Hand auf den hohen Stapel legte und sagte: „So sind die Worte schriftlich niedergelegt. Hat irgend jemand etwas dagegen einzuwenden?“ Ein drückendes, fast schläfriges Schweigen antwortete. Ich hatte nicht so aufgepaßt, wie ich es hätte tun sollen. Meine Gedanken kreisten noch immer um den General. Er schien mein Unbehagen zu spüren. Als ich ihn verstohlen anblickte, stellte ich fest, daß er mich unverfroren und dreist musterte.
Der Protokollordner wiederholte seine Frage. Niemand antwortete. Jetzt erhob sich der Herold. „Das Gericht tritt in zwei Stunden wieder zusammen“, rief er. „Macht eure Verbeugung.“ Der Prinz hatte sich auch erhoben und schritt, begleitet von seinem Gefolge, zur Tür hinter ihm. Wir verbeugten uns alle. Die Richter reckten und streckten sich und fingen an zu plaudern. Neben mir tauchte der Herold auf. „Für euch steht Essen im Garten
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