Die Herrin Thu
dankbar, der mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf auf Kamens anderer Seite saß und ganz von Kamens Schilderung gefesselt war. Er war meinem Sohn ein guter Vater und Shesira war ihm eine würdige Mutter gewesen, und bei ihnen hatte er eine bessere Erziehung erhalten, als wenn er und ich im Harem geblieben wären. Kamen besaß Selbstvertrauen, Bescheidenheit und eine innere Disziplin, die ich selbst noch immer nicht mein eigen nannte, und ich wußte, daß ich, wenn ich für seine Erziehung verantwortlich gewesen wäre, so jung und selbstsüchtig wie ich war, ihm diese Eigenschaften nicht hätte vermitteln können.
Wenn ich die Augen schloß, konnte ich, als sich seine Aufzählung der Tatsachen dem Ende näherte, ganz schwach seinen Vater durchklingen hören, und ich hatte auch schon wie sicher alle im Saal bemerkt, daß dieser ernste Halbbruder dem Prinzen, der auf der Estrade zuhörte, körperlich auffallend glich. In Kamens Adern rann das Blut eines Gottes. Falls der König einen Heiratsvertrag mit mir unterzeichnet hätte, worum ich ihn in meiner rasenden Verzweiflung angefleht hatte, dann wäre mein Sohn ein legitimer Königssohn geworden und hätte ein Recht auf alle Reichtümer und Huldigungen gehabt, deren sich der Prinz erfreute. Vielleicht wäre er sogar zum Horus-im-Nest, zum Erben, ernannt worden. Entschlossen unterdrückte ich diesen Gedanken, als er in mir aufstieg. Thu, du bist wirklich undankbar und habgierig, schalt ich mich. Wann hörst du endlich auf, alles haben zu wollen?
Vierzehntes Kapitel
Nachdem sich Kamen mit einem Lächeln für mich und einem leisen Wort für seinen Adoptivvater gesetzt hatte, standen nun ihrerseits dieser und Nesiamun auf und berichteten knapp über ihre Beteiligung. Die war kurz gewesen, und so schwiegen sie bald wieder. Als sie geendet hatten, ging ein allgemeines Aufatmen durch den Saal. Men gähnte und streckte sich verstohlen, und die Richter flüsterten miteinander. Doch das dauerte nicht lange. Der Protokollordner bat um Ruhe. „Das Beweismaterial ist gehört worden“, sagte er. „Es wird Zeit für das Urteil. Der Prinz möchte sprechen.“ Ramses bewegte sich. Er beugte sich mit ausdrucksloser Miene vor.
„Steh auf, Paiis“, sagte er. Paiis’ Kopf fuhr zu ihm herum. Einen Augenblick wirkte er ratlos oder eher überrascht, dann gehorchte er. Laut Gerichtsverfahren mußten sich die Richter nach Vorlegung des Beweismaterials, das sie bereits vor der Anhörung des Falles kannten, einer nach dem anderen erheben und sofort ihren Schuldspruch abgeben. Dem Würdenträger, der den Vorsitz führte, blieb es überlassen, über das Urteil zu entscheiden und es zu verkünden. Ramses deutete mit der Hand auf die Reihe der Männer unter sich. „Sieh sie dir an, General“, befahl er. „Was siehst du?“ Paiis räusperte sich. Er stand in soldatischer Haltung mit gespreizten Beinen, die Hände auf dem Rücken, doch jetzt fuhren seine Hände zum juwelenbesetzten Gürtel.
„Ich sehe Richter, Prinz“, antwortete er heiser, weil er seine Stimme so lange nicht gebraucht hatte. Ramses lächelte grimmig.
„Ach, tatsächlich?“ blaffte er. „Dann kannst du von Glück sagen, General. Leider muß ich dir mitteilen, daß dein Blick trügt. Soll ich nachhelfen? Es würde mir große Freude bereiten. Oder möchtest du vielleicht behaupten, daß ich unter einer Sinnestäuschung leide, wohingegen du klar siehst? Nun?“ Die Schläfrigkeit war aus dem Saal gewichen. Vor lauter Spannung herrschte atemloses Schweigen. Ich blickte völlig verwirrt vom Prinzen zu den Richtern und dann zu Paiis. Was ging hier vor? Paiis’ Finger umklammerten jetzt den Gürtel. Er war sehr blaß geworden. Ein blau geschminktes Lid zuckte kurz.
Unversehens stand der Prinz auf. „Rede, du Schurke!“ schrie er. „Jammere und krieche, während du uns erklärst, wieso du zehn Richter siehst, während ich nur vier entdecken kann. Soll ich die Trugbilder meiner Sinnestäuschung nennen, oder willst du es tun?“ Paiis fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Das Henna war im Verlauf des Tages abgegangen. Jetzt waren sie krankhaft weiß. Die Richter saßen wie zehn Holzfiguren und starrten ihn ausdruckslos an.
„Prinz, ich weiß nicht, was das soll“, brachte Paiis hervor. Der Prinz knurrte angewidert.
„Ägypten hat dich reich gesegnet“, sagte er, „und als Dank für sein Vertrauen hast du dir alle Mühe gegeben, es zu verderben und zu entmachten. Wie kann die Maat in einem Land bar
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