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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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gelöst hatte. Ich stand auf, öffnete meine Truhe in der unbestimmten Hoffnung, daß sich das Ding wie durch ein Wunder in Luft aufgelöst hätte, aber nein, da thronte es selbstgefällig unter meinen gefalteten Schurzen wie unerwünschtes Ungeziefer. Entmutigt hob ich es heraus, setzte mich auf die Bettkante und stellte es auf meine Knie.
    Unmöglich, all diese seltsamen Knoten zu lösen, die den Deckel fest verschlossen hielten. Wenn ich den Inhalt untersuchen wollte, mußte ich ein Messer nehmen und den Hanf durchschneiden, doch ich brachte es nicht über mich, etwas aufzubrechen, was nicht für mich gedacht, nicht für meine Augen bestimmt war. Dennoch hätte ich es gern getan. Vielleicht hatte die Frau in ihrem Wahn den Kasten mit Steinen und Federn, Zweigen und einer Handvoll Getreide gefüllt und sich dabei vorgestellt, sie verschlösse ihre Lebensgeschichte. Vielleicht konnte sie tatsächlich ein paar ungelenke Wörter schreiben und hatte die zweifellos jämmerlichen Einzelheiten ihres Lebens in der rührenden Hoffnung niedergekritzelt, der Herr allen Lebens ließe sich davon beeindrucken - oder schlimmer noch, sie hatte sich in ihrem Wahnsinn eine Geschichte von Verschwörung und Verfolgung ausgedacht. Doch selbst dann hatte ich nicht die Erlaubnis, den Kasten zu öffnen. Was würde mit dem glücklosen Überbringer geschehen, dem es gelang, den Kasten im Palast abzuliefern, und der zusehen mußte, wie der Pharao ihn öffnete und nur irgendwelchen Abfall darin vorfand? Wahrscheinlich würde er ausgelacht werden, müßte sich spitze Bemerkungen und Gekicher der Höflinge ringsum anhören. Ich konnte mir unschwer ausmalen, wie ich selbst vor dem Horusthron stand, obwohl ich natürlich nur eine verschwommene Vorstellung von den Einzelheiten des Audienzzimmers und des Thrones selbst hatte, da ich weder das eine noch das andere je erblickt hatte. Ich konnte die Hand des Gottes sehen, die ein juwelenbesetztes Messer hielt, die Knoten durchtrennte, den Deckel hochhob. Ich konnte das herablassende Gelächter hören, als der König - ja, was herausholte? Ein paar Steine? Ein schmuddeliges Stück gestohlenen Papyrus? Zugleich konnte ich mir vorstellen, wie meine Laufbahn den Nil hinunterging, und ich stöhnte. Meine Grundsätze erlaubten mir nicht, den Kasten wegzuwerfen oder ihn zu öffnen, und auf keinen Fall konnte ich ihn jemand anders geben und den zum Gespött vor dem Vollkommenen Gott machen. Ich überlegte, ob ich meinen Vater um Rat fragen sollte, verwarf jedoch den Gedanken. Ich kannte ihn zu gut. Er würde sagen, daß ich dafür verantwortlich sei, nicht er, und daß ich kein Kind mehr sei, daß ich den Kasten gar nicht erst hätte annehmen dürfen. Er zweifelte bereits an meiner Berufswahl und glaubte, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis ich es mir anders überlegte und nicht mehr Soldat werden wollte. Meine Dummheit würde seine Meinung von mir nur noch bestärken. Ich wußte, daß er mich abgöttisch liebte, aber er sollte auch stolz auf mich sein. Mit dieser Sache würde ich ihn also nicht belästigen.
    Blieb nur noch mein General. Dem würde ich den Kasten morgen bringen, ihm erklären, was geschehen war, und seinen Ärger oder Spott hinnehmen. Mir fiel ein, daß die Frau mich angefleht hatte, Paiis nichts davon zu sagen, aber war ihre Bitte nicht ohnedies irre? Sie konnte ihn unmöglich kennen, allenfalls seinen Namen. Sofort verspürte ich eine überwältigende Erleichterung, stellte den Kasten auf den Fußboden und kletterte wieder unter die Laken. Wepwawet schien meine Bewegungen mit alberner Genugtuung zu beobachten. Binnen kurzer Zeit war ich eingeschlafen.
    Eine Stunde vor der Morgendämmerung weckte mich Setau, und ich stand auf, nahm eine leichte Mahlzeit zu mir und kleidete mich in die Uniform meiner Stellung als Offizier im Haus des Generals. Der fleckenlose Schurz, der geölte Ledergurt mit Dolch und Schwert, das weiße Kopftuch, das schlichte Armband mit meinem Rang vermittelten mir das Gefühl, dazuzugehören, und stolz legte ich alles an. Dann schlüpfte ich in meine Sandalen, steckte die Handschuhe in den Gürtel, schnappte mir den Kasten und verließ das Haus.
    Der Garten lag noch stumm und dunkel, doch der Mond war untergegangen, und im Osten schied ein dünner Streifen Rot die Erde vom Himmel. Nut wollte Re gebären. Ich hätte unsere Bootstreppe hinuntersteigen und das Einerboot nehmen können, doch heute morgen war ich nicht zu spät dran, also schlug ich den Weg am Fluß ein,

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