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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Kasten, wurde aber zurückgezogen, als hätte er Angst, er könne sich irgendwie anstecken. „Wie sieht die Frau aus?“ fragte er. „Ich habe gehört, wie man unter den Herolden über sie spricht, doch nur selten und kurz und auch nur als kleines und für gewöhnlich spaßiges Ärgernis, und ich habe nicht aufgepaßt. Beschreibe sie mir.“ Jetzt war es an mir, die Stirn in nachdenkliche Falten zu legen.
    „Sie ist eine Bäuerin und wie die meisten ihrer Art ein Niemand“, sagte ich langsam. „Ihr Haar ist schwarz, ihre Haut von der Sonne verbrannt. Doch ich erinnere mich gut an sie. Sie ist irgendwie anders, irgendwie ungewöhnlich. Worte und Sprache sind zu gebildet für eine Bauersfrau, und sie hat blaue Augen.“
    Als ich geendet hatte, starrte er mich so lange an, daß ich bereits dachte, er hätte das Interesse verloren und hörte nicht mehr zu oder daß ihn eine Art Schlag getroffen hätte. Es herrschte betretenes Schweigen. Und da ich nicht unhöflich erscheinen wollte, blickte ich ihm weiter ins Gesicht, bis mir das langsam peinlich wurde, also ließ ich die Blicke schweifen. Jetzt merkte ich auch, daß er mich mit Sicherheit gehört hatte und meine arglosen Worte mit Mühe verarbeitete, denn er umklammerte die Schreibtischkante so heftig, daß die Haut um seine Ringe weiß war. Mein Herz begann zu hämmern.
    „Du weißt, wer sie ist?“ rutschte es mir heraus, und da kam er wieder zu sich.
    „Einen Augenblick lang habe ich das geglaubt“, sagte er ruhig, „aber natürlich habe ich mich getäuscht. Es handelt sich um einen Zufall, mehr nicht. Laß den Kasten da. Was bist du doch für ein rührseliger Narr, daß du ihn überhaupt angenommen hast, Kamen, aber es ist ja kein Schaden entstanden. Ich nehme dein fehlgeleitetes Mitleid zur Kenntnis. Du kannst gehen.“ Seine Stimme klang angestrengt, und als ich ihn musterte, fing er an, sich die Schläfen zu reiben, als hätte er Kopfschmerzen.
    „Aber, General Paiis, Gebieter, du wirfst ihn doch nicht fort?“ bedrängte ich ihn. Er blickte nicht auf.
    „Nein“, sagte er langsam. „O nein. Den werde ich ganz sicher nicht fortwerfen. Doch da du mir die Verantwortung dafür aufhalst, junger Mann, mußt du mir auch alle Entscheidungen überlassen. Vertraust du mir?“ Bei seinen letzten Worten hob er den Blick. Sein Mund war schmal, und ich hätte schwören können, daß sein Atem kalt war, doch dafür stand ich nicht nahe genug. Ich nickte und nahm wieder Habachtstellung ein.
    „General, ich bin dein gehorsamer Diener und danke für deine Nachsicht.“
    „Du bist entlassen.“
    Ich salutierte, machte auf den Fersen kehrt und verließ sein Arbeitszimmer, während die Gedanken durch meinen Kopf rasten. Hatte ich am Ende doch falsch gehandelt? Ich hatte mein Tun nicht als Abschiebung von Verantwortung gesehen, und ich fand, daß die Übergabe des Kastens an General Paiis diesem nicht das Recht gab, damit nach seinem Belieben zu verfahren.
    Ich wünschte meiner Ablösung an der Tür geistesabwesend einen guten Abend und ging schon durch das Tor, als mir dämmerte, daß ich General Paiis in dieser Angelegenheit tatsächlich nicht traute. Die Frau hatte ihm auch nicht vertraut. Sie hatte mich ermahnt, den Kasten nicht ihm zu geben, und ich hatte die Warnung in den Wind geschlagen. Er kannte sie wirklich. Nicht durch ihren Ruf, nicht durch den Klatsch unter den Herolden, sondern von Angesicht zu Angesicht, davon war ich inzwischen überzeugt. Er hatte mich gebeten, sie zu beschreiben, und ich hatte ihm jemanden geschildert, den er kannte, überdies jemanden, der die Macht hatte, bei ihm eine überraschend heftige Reaktion auszulösen. Zuerst hatte er die Knoten erkannt, und meine Worte hatten dieses Erkennen bestätigt. Aber was war zwischen ihnen? überlegte ich, während ich mich auf den Heimweg machte. Was mochte eine Bäuerin mit dem reichen und mächtigen Paiis zu schaffen haben? Was es auch immer war, der General war sehr besorgt. War am Ende doch etwas Wahres an der Geschichte der Frau?
    Die ganze Begegnung mit meinem Vorgesetzten erfüllte mich mit Unbehagen, das noch nicht abgeklungen war, als ich meine eigene Bootstreppe erreichte. Ich ließ Setau Bier holen, setzte mich im Garten an den Teich und beobachtete, wie die Wasseroberfläche langsam von Blau zu einem undurchsichtigen, rotgestreiften Dunkel wechselte, während Re dem gähnenden Rachen Nuts entgegenrollte. Ich wußte nicht recht, was mich mehr beunruhigte: die Möglichkeit, daß die Frau

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