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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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in der dritten Nacht, und nun füllte ich meine Lampe mit frischem Öl, damit ich, wenn ich mit unregelmäßig schlagendem Herzen und schwachen Gliedmaßen aufwachte, meine ordentlichen, friedlichen vier Wände sehen konnte.
    In der siebten Nacht wurde der Traum vielschichtiger. Auf den hennaroten Fingern steckten Ringe, und ein Hauch Parfüm mischte sich mit dem Duft der Lotosblüte, die mich an der Nase kitzelte. Der Duft machte mich noch verzweifelter, und ich wollte, daß mir die Finger gehorchten, doch wie sehr ich mich auch abmühte, die Blütenblätter zu ergreifen, vergebens. Nach Luft schnappend wachte ich auf, lief zu meinem Fenster, schob heftig die Binsenmatte beiseite, beugte mich hinaus und atmete die laue Nachtluft. Draußen wollte der Mond gerade untergehen, hatte sich in den schwarzen Baumwipfeln verfangen. Direkt unter mir warfen die Speicherkrüge für Korn dicht an der Hauswand schwarze Schatten auf den friedlichen Hof, und dahinter flossen die stillen Fluten des Nilarmes, der zum Großen Grün hinströmte. Ich kehrte ins Zimmer zurück, griff mir Kissen und Laken und stieg durch das Fenster aufs Dach, doch als ich dalag und zu den Sternen aufblickte, glich das meinem Traum so sehr, daß ich schon bald zu meinem Lager zurückkehrte. Ich kuschelte mich zusammen und wartete darauf, daß die dunklen Stunden dem grauen Licht wichen, das Res Aufgang ankündigte. Dabei wurde ich schlaftrunken, und endlich schlief ich tief und fest. An diesem Morgen trat ich meine Wache verspätet an.
    Ich beschloß, mich jeden Abend bis zur Bewußtlosigkeit zu betrinken, damit kein Traum den Weinnebel in meinem Kopf durchdringen konnte. So enthielt der Becher neben meinem Lager jetzt statt Wasser den erlesensten Wein vom westlichen Fluß, den ich hinunterkippte, ohne ihn zu würdigen, doch alles, was ich damit erreichte, waren ein rauer Hals und ein Brummschädel, die sich noch zu den Auswirkungen des Traums gesellten. Ich dachte, vielleicht könnte mich Sport so ermüden, daß ich nicht aufwachte oder mich nicht an das Traumbild erinnerte, doch vergeblich. Meine Kameraden von der Wache machten bereits Witze über meine hohlen Wangen, und ich stolperte nach dem Erwachen in einem Nebel von Müdigkeit durch den Tag. Ich wußte, daß ich den Bruch zwischen Takhuru und mir beseitigen mußte, wußte, daß ich ihr ein Geschenk bringen und ihr sagen mußte, wie sehr ich sie liebte, aber sie schwieg sich aus, und ich brachte nicht die Energie auf, von mir aus etwas zu unternehmen.
    In der vierzehnten Nacht - der Monat Paophi lag schon halb hinter uns - veränderte sich wieder etwas. Auf mich wirkte der Traum wie die Arbeit eines Zauberkünstlers, der zunächst nur die Umrisse skizziert und dann nicht nur viele Farbschattierungen und künstlerische Feinheiten einfügt, sondern auch Düfte und schließlich Klänge, denn in jener Nacht, als die Lotosblüte mein Gesicht liebkoste und ich mich vergeblich abmühte, sie zu ergreifen, hörte ich eine Stimme zwitschern. „Mein Kleiner, mein Süßer“, sang, nein, singsangte sie. „Mein hübscher, hübscher kleiner Junge, mein Herzensschatz“, und im Traum lächelte ich. Die Stimme war weiblich, jung, nicht hell, aber melodiös. Sie gehörte weder meiner Mutter noch meinen Schwestern oder Takhuru, dennoch ging sie mir durch und durch. Ich kannte sie, erkannte sie im tiefsten Herzen, wachte schluchzend auf, und die Brust tat mir weh.
    Nachdem ich das Laken abgeworfen hatte, ging ich mit weichen Knien den Flur entlang und klopfte bei meinem Vater an. Nach einer kleinen Weile erschien ein Lichtstreifen unter seiner Schlafzimmertür. Ich wartete. Endlich machte er auf, das Gesicht gedunsen von Schlaf, doch mit klarem und wachsamem Blick. „Ihr Götter, Kamen“, sagte er. „Du siehst verboten aus. Komm herein.“ Er winkte mich ins Zimmer und machte hinter mir die Tür zu. Ich sank auf einen der bequemen Stühle, die zu beiden Seiten seines Fensters standen. Er nahm den anderen, schlug die nackten Beine über und wartete, daß ich etwas sagte. Ich zwang mich, tief durchzuatmen, und schon war meine Brust nicht mehr so zusammengeschnürt. Allmählich beruhigte sich mein Körper. Mein Vater deutete mit dem Kopf auf den halbvollen Becher Wein, der auf dem Tischchen zwischen uns stand. Er hatte offenbar vor dem Schlafengehen noch gelesen, denn neben dem Becher lag eine Rolle, doch mich schauderte, und ich schüttelte den Kopf. „Ist auch besser so“, meinte er trocken. „In den

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