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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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vergangenen Wochen hast du nämlich meinen halben Weinkeller leer getrunken. Was ist los? Macht Takhuru Schwierigkeiten?“ Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her.
    „Erzähl mir von meiner Mutter“, sagte ich. Er blickte verständnislos, dann begriff er.
    „Deine Mutter ist tot“, antwortete er. „Das weißt du doch, Kamen. Sie ist bei deiner Geburt gestorben.“
    „Ich weiß. Aber wie hat sie ausgesehen? Ich habe selten an sie gedacht. Als Kind habe ich sie mir reich, jung und schön vorgestellt, und sie hat immer gelacht - die Phantastereien, die man so erwarten kann. Was stimmt davon, Vater? Hast du sie gut gekannt?“
    Er blickte mich lange an, ein Mann, dessen restlicher grauer Haarkranz büschelweise abstand, dessen kurzer Nachtschurz aus zerknautschtem Leinen sich über den knochig hervorstehenden Knien bauschte und dessen alter Bauch darüber Falten schlug. In diesem Augenblick liebte ich ihn innig. Dann griff er selbst zum Becher und trank ohne abzusetzen. Seine Augen über dem Becherrand ließen mich nicht los.
    „Ich habe sie überhaupt nicht gekannt“, antwortete er. „Der Bote, der dich in diesem Haus ablieferte, hat nur gesagt, daß sie im Kindbett gestorben ist und daß dein Vater im Dienst des Königs getötet wurde.“
    „Aber der Mann kann doch nicht vom Himmel gefallen sein und mich dir in die Arme gelegt haben! Du mußt dich doch nach einem Kind zum Adoptieren erkundigt und Verhandlungen geführt, eine Vereinbarung unterschrieben haben! Du mußt etwas über meine Herkunft wissen!“ Er blickte in seinen Becher, seufzte, stellte ihn auf den Tisch und verschränkte die Arme.
    „Warum fragst du gerade jetzt danach, Kamen? Bislang hast du dich wenig darum gekümmert.“
    Rasch und unbeholfen erzählte ich ihm von den Träumen, und während ich redete, kehrten sie zurück und mit ihnen diese Mischung aus Lust und Schrecken, so daß ich am Ende meiner Erklärung schon wieder diesen Druck auf der Brust spürte und kaum noch Luft bekam. „Ich glaube, ich träume von mir als Säugling“, schloß ich mit belegter Stimme, „und daß die Hand, die sich senkt, meiner Mutter gehört. Aber sie ist mit Henna bemalt, Vater, und sie trägt viele teure Ringe. War meine Mutter von Adel? Oder mischt sich im Traum Tatsache mit Wunschdenken?“
    „Du bist ein scharfsichtiger junger Mann“, sagte mein Vater bedächtig. „Ich habe deine wahre Mutter nie kennen gelernt, aber ihr Ruf ist bis zu mir gedrungen. Sie war tatsächlich jung und schön und sehr reich, als sie dich geboren hat. Aber von Adel war sie nicht.“
    „Was war sie dann? Stammte sie aus einer Familie von Kaufleuten? Habe ich Großeltern, hier in Pi-Ramses vielleicht? Habe ich Schwestern oder vielleicht einen Bruder? Wie konnte sie die Frau eines Offiziers und sehr reich sein?“ „Nein!“ unterbrach mich mein Vater heftig. „Die Idee schlag dir aus dem Kopf, Kamen. Du hast keine Brüder oder Schwestern, und was deine Großeltern angeht, so hat man uns nicht mitgeteilt, ob du weitere Verwandte hast.“ „Aber reich. Du hast es selbst gesagt.“ Der Schmerz in meiner Brust wurde so heftig, daß ich am liebsten die Faust dagegen gedrückt hätte. „War mein Vater wohlhabend? Was ist mit seiner Familie? Im Heeresarchiv müssen doch Rollen über seinen Stammbaum und seine Laufbahn liegen!“ Mein Vater kniff den Mund zusammen. Langsam kroch eine Röte seinen Hals hoch.
    „Nein. Ich habe die Archive selbst durchgesehen. Es gibt nichts. Ich habe dir alles erzählt, was ich weiß, mein Sohn. Bitte, gib dich damit zufrieden.“ Er hatte mich absichtlich ,mein Sohn’ genannt, doch ich ließ nicht locker.
    „Nichts im Archiv? Nicht einmal sein Name? Wie hat er geheißen?“ Und warum hatte ich diese Frage noch nie gestellt und auch nicht die anderen Fragen, die mir jetzt durch den Kopf schossen? War ich sechzehn Jahre lang verzaubert gewesen? Mein Vater beugte sich vor und legte mir die Hand auf den Schenkel. Sie fühlte sich sehr heiß an.
    „Kamen“, sagte er laut, „so versteh doch und glaube mir. Ich weiß nichts über deinen leiblichen Vater, außer daß er Offizier war, und da ich diese Unterhaltung schon vor Jahren habe kommen sehen, habe ich mir alle Mühe gegeben, seinen Namen herauszufinden. Ich habe dir gerade alles über deine Mutter erzählt, was ich weiß. Ich liebe dich. Shesira, meine Frau, liebt dich. Mutemheb und Tamit, meine Töchter, deine Schwestern, lieben dich. Du bist schön und gesund, und es mangelt dir an

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