Die Herrin Thu
die unzweifelhafte Existenz des anderen bestätigt wird.“
„Morgen stehe ich vor meinem General und lüge“, antwortete ich, und sie lachte.
„Du kannst dich in dem geheimen Bewußtsein vor ihn stellen, daß dein Blut das edelste im ganzen Königreich ist“, sagte sie. „Er wird es nicht wagen, die Hand gegen einen Königssohn zu erheben.“
Doch da war ich mir nicht so sicher. Takhuru und ich lagen noch eine ganze Weile auf dem Fußboden, küßten uns und dösten wieder ein, denn es war die Zeit der Nachmittagsruhe. Ihr Zimmer bedeutete Geborgenheit, Normalität, einen letzten Schatten des Mannes, der ich gewesen war. Erst als ich mich sicher genug fühlte, mein eigenes Haus zu betreten, verabschiedete ich mich von ihr.
An den kurzen Heimweg erinnere ich mich noch lebhaft. Es war, als hätte ich neue Augen bekommen, und ich sah, wie das grelle Licht auf dem Wasser glitzerte, wie sich die Bäume vor dem Himmel abhoben, sah die goldgelben Sandflecken neben dem Weg mit bemerkenswerter Klarheit. Meine Fußsohlen spürten jede Unebenheit des Untergrunds, meine Ohren reagierten auf die unzähligen Lebenslaute von Insekten, Vögeln oder Menschen auf dem See. Ich war neu geboren worden, und dennoch war ich derselbe Mensch. Jetzt bewohnte ich keine Welt des Leidens mehr, sondern spürte, daß ich einen Platz auszufüllen begann, der noch nicht meiner war.
Zu Hause angekommen wusch ich mich, wechselte die Wäsche und machte mich erneut auf, dieses Mal zu Paiis’ Anwesen. Gern hätte ich bis zum nächsten Tag damit gewartet, ihm Bericht zu erstatten, doch ich wußte, ich mußte ihn sprechen, ehe er von jemand anderem von meiner Rückkehr erfuhr. Gewißlich erwartete er, daß man den Mörder in sein Arbeitszimmer führte, doch an seiner Statt schob ich mich an seinem Haushofmeister vorbei und salutierte.
Er fuhr nicht vor Schreck von seinem Schreibtisch hoch, aber ich sah, wie sich sein Körper spannte, um genau das zu tun. Er beherrschte sich augenblicklich, und als sich unsere Blicke trafen, las ich in seinen Augen keinerlei Panik. Bewundernswert, diese Selbstbeherrschung, also bemühte auch ich mich um eine gesetzte Miene. „Kamen“, sagte er unnötigerweise. „Du bist also zurück. Erstatte Bericht.“ Seine Stimme zitterte nicht, klang aber uncharakteristisch schrill.
„General“, begann ich. „Es tut mir leid, aber es ist mir nicht gelungen, deinen Befehl auszuführen. Sei versichert, daß ich mir die allergrößte Mühe gegeben habe. Ich kenne meine Pflicht.“ Er machte eine ungeduldige Handbewegung und hatte sich dabei nicht nur vollkommen im Griff, sondern blickte so wachsam und argwöhnisch, daß sich alles in mir sträubte und ich zum Gegenangriff überging.
„Laß den Unfug“, schnitt er mir gereizt das Wort ab. „Was konnte mit so einem einfachen Auftrag schief gehen?“ Ich war versucht zu lachen, erkannte jedoch diesen Impuls als Anzeichen von Leichtsinn und Überreiztheit.
„Ich habe den Söldner wohlbehalten in Aswat abgeliefert, wie du es befohlen hattest“, sagte ich ruhig. „Nachts haben wir an abgeschiedenen Plätzen festgemacht, wo uns niemand gesehen hat, auch wie du es befohlen hattest. Als wir dann außerhalb des Dorfes vertäut lagen, habe ich den Söldner drei Stunden vor der Morgendämmerung zur Hütte der Frau begleitet, aber sie war nicht daheim. Der Söldner war ärgerlich. Nachdem er mich gefragt hatte, wo sie stecken könnte, hat er mich angewiesen, draußen vor ihrer Tür zu warten. Das habe ich getan. Er ist nicht zurückgekommen, die Frau auch nicht.“
„Was soll das heißen, er ist nicht zurückgekommen?“ fuhr Paiis mich an. „Wie lange hast du gewartet? Hast du nach ihm suchen lassen?“
„Natürlich.“ Ich erlaubte mir einen flüchtigen Ausdruck gekränkten Stolzes. „Ich bin mir jedoch deiner Mahnung zur Geheimhaltung bewußt gewesen, und das hat eine gründliche Suche erschwert. Ich hätte Tage mit der Befragung aller Dorfbewohner und der Durchsuchung ihrer Häuser zubringen können, doch in Anbetracht der Situation habe ich die Gäßchen und Felder abgesucht, bis es helllichter Vormittag war. Dann habe ich einen weiteren Tag gewartet und mich auf dem Boot versteckt gehalten, aber der Söldner ist nicht gekommen. Am Abend bin ich erneut zur Hütte der Frau gegangen, doch vergebens. Sie war auch nicht zurückgekommen. Nun stand ich vor der Wahl, entweder mich und meine Mannschaft immer mehr den neugierigen Blicken der Dorfbewohner auszusetzen oder
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