Die Herrin Thu
antwortete ich. „Danke, Setau, aber ich möchte nicht essen, nur Wasser trinken. Danach werde ich wohl schwimmen gehen, und dann möchte ich Kaha aufsuchen, falls er nichts zu tun hat. Du brauchst mir nichts herauszulegen. Wenn ich zurück bin, kann ich mich selbst ankleiden.“ Er nickte, entfernte das beladene Tablett, und als er gegangen war, leerte ich den Krug Wasser, den er mir dagelassen hatte, schlüpfte in meine Sandalen und ging zum See hinunter.
Es war ein klarer, funkelnder Morgen, angenehm warm und noch nicht glühend heiß, und aufseufzend ließ ich mich in das sanft plätschernde Wasser gleiten. Eine geraume Weile trieb ich einfach in der Kühle dahin, freute mich an dem verzerrten Bild meiner bleichen Gliedmaßen in der klaren Tiefe und spürte die Sonne auf meinem Kopf, dann fing ich an zu schwimmen. Die rhythmische Bewegung, das an meinen Lippen sanft vorbeiströmende Wasser, mein regelmäßiger Atem, alles wirkte heilsam auf mein Hirn. Als ich müde wurde, kletterte ich ans Ufer, und als ich dann durch den Garten ging, war ich bereits wieder trocken. In meinem Zimmer band ich mir einen sauberen Schurz um die Mitte, kämmte mich, ging nach unten in die Halle und schickte einen Diener nach Kaha. Ich war vollkommen ruhig. Ich wußte, was ich zu tun hatte.
Er kam sofort, die Palette unter den Arm geklemmt und mit einem munteren Lächeln. „Guten Morgen, Kamen“, begrüßte er mich fröhlich. „Möchtest du einen Brief diktieren?“
„Nein“, sagte ich. „Ich möchte, daß du mir bei der Suche nach Rollen im Arbeitszimmer meines Vaters hilfst. Du kennst sie alle, Kaha. Ich könnte sie allein durchsehen, aber dort lagern die Rollen von vielen Jahren, es würde lange dauern.“
„Dein Vater will nicht, daß man während seiner Abwesenheit sein Arbeitszimmer betritt“, antwortete Kaha zögernd. „Ich bearbeite nur die Briefschaften, die nicht bis zu seiner Rückkehr warten können. Handelt es sich um eine dringende Angelegenheit?“
„Ja. Und ich versichere dir, daß ich nicht die Absicht habe, in seinen geschäftlichen Dingen herumzustöbern.“
„Darf ich fragen, wonach du suchst?“ Ich musterte ihn kurz und nachdenklich und fand, daß ich ihm genauso gut reinen Wein einschenken könne. Er war ein treuer Diener meines Vaters, und ob er mir nun dabei half oder nicht, er würde sich verpflichtet fühlen, meinem Vater zu erzählen, daß ich Einsicht in seine Papyri genommen hatte.
„Ich suche nach einem Brief aus dem Palast“, sagte ich. „Ich weiß, daß Vater den Oberaufseher des königlichen Haushalts gelegentlich mit seltenen Waren versorgt hat. Von solchen Geschäften ist nicht die Rede. Diese Rolle datiert aus dem Jahr meiner Geburt.“ Er musterte mich schärfer.
„Ich bin drei Jahre danach in die Dienste deines Vaters getreten“, sagte er. „Die Unterlagen deines Vaters waren in Ordnung, also mußte ich die früheren nicht überprüfen. Aber selbstverständlich gibt es Kästen aus diesen Jahren.“ Er zögerte. „Kamen, ich riskiere das Mißfallen deines Vaters, wenn ich dir sein Zimmer öffne“, mahnte er mich. „Aber ich mache es, wenn du mir versicherst, daß die Angelegenheit tatsächlich von so großer Wichtigkeit ist und nichts betrifft, was nicht für dein Auge bestimmt ist.“
In diesem Fall ist die buchstäbliche Wahrheit eher eine Lüge, dachte ich rasch, doch falls ich Kaha erzähle, daß in der Rolle gewißlich um Geheimhaltung gebeten wird, ohne sie mit nackten Worten zu befehlen, dann läßt er mich nicht durch jene Tür. Schließlich hat Vater mir nicht verboten, nach meiner Abkunft zu forschen. Er hat mir nur schlicht geraten, die Sache ruhen zu lassen.
„Sie ist in der Tat sehr wichtig“, sagte ich. „Ich weiß, was mein Vater hinsichtlich seines Arbeitszimmers angeordnet hat, aber für mich ist es lebenswichtig, daß ich diese Rolle finde. Er hat mir nicht verboten, Nachforschungen anzustellen, ja, ich bin der Sache sorgfältig nachgegangen und an einem Punkt angelangt, wo ich gewisse Informationen prüfen muß, die Vater besitzt. Schade, daß er nicht zu Hause ist, dann könnte ich mich mit ihm beraten, aber es eilt.“ Kaha runzelte die Stirn und war sich offensichtlich noch immer nicht ganz schlüssig. Seine langen Finger trommelten auf dem Holz seiner Palette.
„Kannst du mir nicht mehr erzählen?“ fragte er schließlich. „Ich möchte dir helfen, Kamen, aber die Anweisung deines Vaters gilt seit langem und ist ganz
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