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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zucken allen Anstand fahren lassen würde, sollte es sich als notwendig erweisen. Und genau das hast du gerade getan. Ich liebe dich auch.
    Was für ein himmlisches Abenteuer! Was meinst du, werden wir eines Tages vor dem Angesicht des Einzig-Einen stehen?“
    „Nein“, sagte ich kurz angebunden, denn auf einmal packte mich die Angst, daß sie überhaupt nicht begriff, wie schlimm die Klemme war, in der wir steckten. „Wenn wir Glück haben, bleibe ich am Leben, und deine Familie bekommt nichts von der ganzen Sache mit. Das hier ist kein Spiel.“
    „Das weiß ich auch“, flüsterte sie, und auf einmal war sie wieder die Takhuru, die mich so eigenartig begrüßt hatte. Eingehend musterte sie meine Miene. „Kamen“, sagte sie langsam, „die Botschaft, die ich dir geschickt habe und der du nicht nachkommen konntest, weil du in den Süden mußtest. Ich muß dir etwas zeigen. Es betrifft deinen Vater.“ Sofort horchte ich auf.
    „Was ist passiert? Hat es einen Unfall gegeben? Ist er verletzt? Tot?“
    „Nein, nicht Men“, sagte sie. Sie holte tief Luft, blies sie aus und ging zu ihrer Kleidertruhe. Dort kniete sie sich hin, hob den Deckel hoch, stöberte in ihren Kleidern herum und holte eine Rolle heraus. Dann stand sie auf und kam seltsam zögernd auf mich zu, die Rolle an den Leib gedrückt.
    „Die habe ich gefunden, als ich Vaters Arbeitszimmer durchsucht habe“, sagte sie fast tonlos. „Sie lag in einem Kasten mit alten Listen über Angestellte und die Fayence-Herstellung aus früheren Jahren. Falls sie echt ist, wirst du vielleicht tatsächlich eines Tages vor dem Einzig-Einen stehen. Das ist dein gutes Recht. Du bist sein Sohn.“ Sie streckte mir die Rolle mit beiden Händen hin, als böte sie mir oder einem Gott ein kostbares Geschenk dar, und ich nahm sie unversehens benommen entgegen.
    Der Papyrus war so steif, als hätte man ihn seit einiger Zeit nicht mehr entrollt. Er war einst versiegelt gewesen, doch das Siegel war halb erbrochen. Beinahe unbeteiligt stellte ich fest, daß meine Finger zitterten. Irgendwie hörte und verstand ich sie durchaus und erbebte vor Schreck, doch mein Bewußtsein schlief noch. „Was sagst du da? Was sagst du da?“ stammelte ich wie ein Blöder. Benommen tastete ich nach einem Stuhl und ließ mich darauf fallen. Die schwarzen, feierlichen Hieroglyphen tanzten vor meinen Augen. Sie kam zu mir und packte meine Schulter mit fester Hand.
    „Lies sie“, sagte sie.
    Die Hieroglyphen hatten aufgehört, sich zu drehen, doch ich mußte die Rolle festhalten, sonst hätte sie so gezittert, daß ich sie nicht hätte lesen können. „An den Edlen Nesiamun, Oberaufseher der Fayence-Werkstätten zu Pi-Ramses mit freundlichen Grüßen“, so lautete sie. „In der Angelegenheit bezüglich der Abkunft eines gewissen Kamen, zur Zeit wohnhaft im Heim von Men, dem Kaufmann, darfst du versichert sein, daß besagter Men ein ehrlicher Mann ist und nicht versucht, einen angenommenen Sohn von gemeiner oder Ungewisser Herkunft mit deiner Tochter zu verbinden, die aus reinem und edlem Geschlecht stammt. Nach seinem göttlichen Ratschluß hat es dem Herrn der Zwei Länder, dem Vollkommenen Gott Ramses gefallen, seinen Sohn, den oben erwähnten Kamen, in die Obhut des Kaufmanns Men zu geben, damit dieser ihn als sein eigenes Kind aufzieht. Obschon besagter Kamen der Sohn einer königlichen Nebenfrau ist, stammt er dennoch aus dem heiligen Geblüt der Gottheit, also zögere nicht, den Heiratsvertrag zwischen deinem Haus und dem Haus Mens zu unterzeichnen. Wir erlegen dir jedoch äußerste Verschwiegenheit auf, so wie wir sie auch Men auferlegt haben, als man das Kind Kamen in seine Obhut gegeben hat. Dem königlichen Schreiber im Harem, Mutmose, am vierten Tage des Monats Pakhons, im achtundzwanzigsten Jahr des Königs diktiert.“ Die Rolle war mit „Amunnacht, Oberster Hüter der Tür“ unterschrieben.
    Eine lange Zeit verspürte ich gar nichts. Mein Kopf, mein Herz, meine Gliedmaßen, alles war wie abgestorben. Ich musterte den Raum mit blicklosen Augen. So ist es, wenn man tot ist, tot ist, tot ist, dachte ich ein ums andere Mal. Doch allmählich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, eine Frauenhand, Takhurus Hand, ich war an einem warmen Nachmittag in Takhurus Zimmer, nein, nicht ich, sondern ein Königssohn, ein Königssohn, ich, Kamen, war tatsächlich gestorben, und dann überfiel mich der Schwindel, und ich ließ mich vornüber fallen.
    Mit geschlossenen Augen drückte ich

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