Die Herrin Thu
die Stirn auf die Knie, bis der Schwindel nachließ. Takhurus Hand wurde fortgezogen. Als ich mich endlich langsam aufrichten konnte, saß sie vor mir auf dem Boden und wartete geduldig. „Das muß ein furchtbarer Schreck für dich gewesen sein“, sagte sie. „Und dazu noch ein doppelter. Es war deine Mutter, die in deinen Träumen zu dir gekommen ist, Kamen, und darum warst du so wild entschlossen, sie zu finden. Wer hätte gedacht, daß eine Frage, die du gar nicht gestellt hast, als erste beantwortet werden würde.“ Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und versuchte zu schlucken. Dabei kam ich mir so leicht und so leer vor wie eine Schote ohne Samen.
„Die Rolle dürfte echt sein?“ brachte ich schließlich zustande.
„Natürlich ist sie das. Amunnacht ist tatsächlich Türhüter im Harem. Sein Wort ist im Harem Gesetz. Außerdem würde niemand so verrückt sein, solch einen Papyrus zu fälschen, oder? Nicht nur den Namen des Türhüters zu verwenden, sondern auch noch den Willen des Pharaos ohne dessen Wissen und Erlaubnis zu äußern? Seine Söhne dürfen sich nicht ohne seine Einwilligung verheiraten. Das bedeutet, als damals das Thema unserer Verlobung angeschnitten wurde, hat dein Vater meinem Vater erzählt, daß wir uns miteinander verbinden können, weil dein Stammbaum in Wahrheit besser als meiner ist. Mein Vater hat ihm nicht geglaubt. Er hat den Hüter der Tür um Bestätigung gebeten. Der Hüter der Tür hat den Pharao um Erlaubnis fragen lassen, ob er meinen
Vater beruhigen darf und die Erlaubnis des Einzig-Einen zu deiner Heirat erhält. Kamen, du bist ein Königssohn.“
„Mein Vater hat es gewußt“, sagte ich, und jetzt verspürte ich statt der Leere eine erschreckend rasch zunehmende Wut. „Er hat alles gewußt. Er muß wissen, welche Nebenfrau mich geboren hat. Und dennoch hat er alles geleugnet, hat mich in meiner Not angelogen! Warum?“ Takhuru zuckte mit den Schultern.
„Die Rolle stellt klar, daß man deinen Vater zur Verschwiegenheit verpflichtet hat. Er durfte dir nicht die Wahrheit sagen.“ Doch noch konnte ich ihm nicht verzeihen. Blinder, heftiger Zorn hatte mich ergriffen, und gern hätte ich meinen Vater an der Kehle gepackt und auf ihn eingeschlagen, wieder, immer wieder. Ich ballte die Fäuste, und dann ging mir auf, daß ich in Wirklichkeit meinen wahren Vater in den Staub treten wollte. Den Vollkommenen Gott höchstpersönlich. Ich war ein Königssohn.
„Warum hat mich Ramses so still und heimlich abgeschoben?“ fragte ich heftig. „Im Harem gibt es Dutzende von königlichen Bankerten, sie dienen als junge Hauptleute im Heer oder in Verwaltungspositionen. Jeder weiß, wer sie sind. Sie werden nicht so verehrt wie legitime Prinzen, aber ihre Abkunft wird auch nicht geheimgehalten. Warum meine?“ Sie beugte sich vor und ergriff mich bei den Handgelenken.
„Das weiß ich nicht, aber wir werden es herausfinden“, sagte sie. „Laß dir Zeit, dich mit dem Gedanken anzufreunden, Kamen. Unternimm nichts Törichtes. Vielleicht bist du unter einem schrecklichen Unstern geboren. Vielleicht hat der Pharao deine Mutter so geliebt, daß er es nicht ertragen hat, irgendein Andenken an sie zu behalten. Da ist diese Bäuerin Thu. Sie war doch ungefähr zur gleichen Zeit Nebenfrau, als du zur Welt gekommen bist. Ich werde sie fragen, an was sie sich noch aus jener Zeit erinnert. Aber ich sage die Wahrheit. Du bist aus königlichem Geblüt. Du darfst um die Erlaubnis bitten, deinen Vater zu sehen, und man wird es dir nicht abschlagen.“ Sie rüttelte ein wenig an meinem Arm. „Du weißt, daß ich dich geliebt habe, ehe ich wußte, daß du aus königlichem Geblüt bist, ja?“ fragte sie ernst. Ich rang mir ein Lächeln ab, doch mein Mund fühlte sich steif an.
„Du bist haarsträubend hochnäsig, Takhuru“, sagte ich halblaut. „Was soll ich nur tun? Wie soll ich mich selbst sehen? Wer bin ich? Sind meine Gedanken und Gewohnheiten, meine Zuneigungen und Abneigungen die Frucht des königlichen Samens? Muß ich ein neuer Mensch werden? Versuchen, mich neu kennenzulernen? Wer bin ich?“ Sie zog mich neben sich und bemühte sich, mich so gut es ging in die Arme zu schließen.
„Du bist mein Kamen, ein tapferer und ehrenhafter Mann“, murmelte sie. „Immer schön eins nach dem anderen.
Zunächst einmal gehst du nach Hause und läßt dich von Setau baden. Morgen brichst du in das Arbeitszimmer deines Vaters ein und überzeugst dich, daß dieser Papyrus durch
Weitere Kostenlose Bücher