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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Gedanken, als sie ihren Stiefsohn bei den Zeremonien zu Beginn des Frühlings beobachtete. Er war jetzt siebzehn und so groß wie alle Männer aus der Sippe seiner Mutter. Auch die Haare wurden nach einem Winter ohne Sonne dunkelbraun wie die der Römer. Der Unterkiefer hatte sich entwickelt, so daß die Zähne nicht mehr übergroß wirkten. Und das ausgeprägte Kinn und die gerade Nase erinnerten ebenfalls an sein römisches Erbe.
    Körperlich war Gawen bereits ein Mann.
    Er sieht gut aus , dachte Caillean. Aber er ist sich dessen noch nicht bewußt .
    Bei den Festen spielte er die Harfe. Die langen, sehnigen Finger glitten mit geübter Sicherheit über die Saiten. Doch in seinen Augen lag eine übergroße Wachsamkeit, als fürchte er ständig, etwas falsch zu machen.
    Gehört die Unsicherheit zu seinem Alter? Oder habe ich sie verstärkt, weil ich von Anfang an zu hohe Anforderungen an ihn stellte?
    Ihre Gedanken wanderten zu der anderen Gemeinschaft, zu den Nazarenern, die auf Avalon ihrem Gott dienten. Im Frühjahr feierten sie den Tod und die Wiederauferstehung ihres Herrn. Caillean verstand nie das schwierige Verfahren, nach dem sie jeweils das Datum errechneten. Deshalb hatte sie sich angewöhnt, Vater Joseph und seinen Mönchen eine Grußbotschaft zu schicken, wenn auf dem Tor das Frühlingsritual bevorstand.
    Als der Bote in diesem Jahr zurückkehrte, berichtete er, daß Vater Joseph kurz nach der Wintersonnwende krank geworden sei und sein Lager seitdem nicht verlassen habe. Caillean nahm sich vor, sofort nach Abschluß der Zeremonie dem Kranken mit Gawen einen Besuch abzustatten.
    »Wie ich höre, gehst du regelmäßig zu den Nazarenern und lernst bei ihnen singen. Warum hast du mir nicht gesagt, daß Vater Joseph krank ist?« fragte sie ihn auf dem Weg zu den Hütten der Mönche.
    »Du hast immer so viel zu tun ... «, Gawen sprach nicht weiter, als er ihr Gesicht sah. »Außerdem dachte ich, du wüßtest es.«
    Caillean seufzte. »Verzeih ... es ist nicht richtig, daß ich aufgrund meiner Sorgen ungerecht zu dir bin. Außerdem sollte ich dir keine Vorwürfe machen, weil du die Wahrheit sagst.« Sie schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort: »Manchmal habe ich den Eindruck, daß ständig jemand da ist, der etwas von mir wissen will. Ich hoffe aber, daß ich trotzdem Zeit für alle habe, die wirklich Hilfe brauchen.« Sie sah ihn kurz von der Seite an. Da er schwieg, sagte sie nickend: »Ich weiß, es ist schon lange her, daß ich mich einmal ausführlicher mit dir unterhalten habe. Es dauert nicht mehr lange, bis du von den Druiden zum Priester geweiht wirst.« Sie seufzte. »Du meine Güte, wie schnell die Zeit vergeht ... «
    Sie kamen an der kleinen Hütte vorbei, die für eine Priesterin gebaut worden war, die über die heilige Quelle wachte. Dann gingen sie durch den Obstgarten, der weiter unten angelegt worden war, und um den Hügel herum hinunter ins Tal.
    Das Gotteshaus der Nazarener war wie alle Gebäude mit Schilf gedeckt, aber es war größer und höher und hatte in der Mitte einen spitz zulaufenden Hut. Die Hütten der Mönche scharten sich um das Gebäude wie die Küken um die Henne. Einer der Nazarener fegte die Blätter zusammen, die der Wind in der vergangenen Nacht vor das Gotteshaus getrieben hatte. Als er die beiden Besucher sah, kam er ihnen entgegen, um sie zu begrüßen.
    »Ich habe getrocknete Früchte und etwas Honigbrot für Vater Joseph mitgebracht«, erklärte Caillean und deutete mit dem Kopf auf den Korb in ihrer Hand. »Kannst du mich zu ihm führen?«
    »Vater Paulus wird es wahrscheinlich nicht gerne sehen ... «, erwiderte der Mann und fügte schnell hinzu, »aber das ist nicht wichtig. Vielleicht werden diese Köstlichkeiten Vater Joseph Appetit machen. Unsere einfachen Speisen lehnt er ab. Wenn du ihn dazu bewegen kannst, etwas zu sich zu nehmen, werden wir dir alle dankbar sein. Seit dem Fest von Christi Geburt hat er kaum genug gegessen, um einen Vogel über den Winter zu bringen.«
    Er führte sie zu einer der runden Hütten. Sie war nicht größer als die anderen, doch der schmale Pfad war von weiß gestrichenen Steinen gesäumt. Der Mönch schob das Fell zur Seite, mit dem die Türöffnung verhängt war.
    »Vater, die Herrin von Avalon ist gekommen, um dich zu besuchen. Darf ich sie hereinlassen?«
    Caillean mußte sich erst an die Dunkelheit in der Hütte gewöhnen, ehe sie etwas sah. Vater Joseph lag auf einem Strohlager auf dem Boden aus gestampfter Erde. Ein

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