Die Herrin von Avalon
des Lichts die Finsternis des Todes auf sich nimmt.« Er seufzte, aber dann verzogen sich die schmalen Lippen zu einem Lächeln. »Sie war jung und alt zugleich, zart und so stark wie ein Fels. Als ich die Tränen sah, die sie unter dem Kreuz vergoß, erinnerte ich mich plötzlich an meine Träume. Ich stand vor dem Gekreuzigten und blickte zu ihm auf ... «
Sein Blick verlor sich in seiner inneren Welt. Es dauerte lange, ehe er in die Gegenwart seiner Geschichte zurückkehrte. Es kostete ihn sichtlich Überwindung, aber etwas trieb ihn vorwärts, wie eine Pflicht, die er hinter sich bringen mußte.
»Der Todeskampf hatte den Menschen in ihm beinahe aufgezehrt. Das Wissen um sein wahres Wesen stellte sich ein und verblaßte wieder ... Manchmal stöhnte er in seiner Verzweiflung, dann wieder schenkte er denen, die am Fuß des Kreuzes standen, Worte des Trostes. Als er mich ansah, blendete mich sein Licht. In diesem Augenblick erinnerte ich mich, wer ich in der Vergangenheit gewesen war, und an das Gelübde, das ich damals ... vor langen Zeiten abgelegt hatte.« Die Worte kamen ihm immer schwerer über die Lippen. Seine Stimme klang brüchig und war kaum noch zu hören. Aber weder Caillean noch Gawen wagten ihn zu unterbrechen.
»Man berichtet, die Erde habe gebebt, als er starb. Ich weiß es nicht, denn ich war bis in mein Innerstes getroffen. Später stieß man ihm den Speer in die Seite, um Gewißheit über seinen Tod zu haben, und es gelang mir, ein paar Tropfen seines Blutes in einem kleinen irdenen Gefäß aufzufangen, das ich bei mir trug. Außerdem half mein Einfluß bei den Römern, und man erlaubte mir, seinen Leichnam in die Gruft meiner Familie zu bringen.«
»Aber er ist nicht dort geblieben ... «, unterbrach ihn Gawen. Caillean nickte und dachte daran, daß der Junge die Lieder der Nazarener gelernt hatte. Also kannte er auch ihre Geschichten.
»Er war niemals dort«, flüsterte Vater Joseph. »Andere Dinge geschahen, über die ich nicht sprechen will. Soviel kann ich jedoch sagen, unser Herr erschien all denen, die ihm die Treue bewahrt hatten, um ihnen die Macht des Geistes zu zeigen. Er stärkte damit ihren Glauben daran, daß die Seele über allem Körperlichen steht. Aber das mußte ich nicht lernen. Ich wußte es.«
»Und warum bist du hierher nach Britannien gekommen?« fragte Gawen.
Joseph seufzte. Es klang bedrückt, als er antwortete. »Die Anhänger des Meisters begannen, um seine Nachfolge zu kämpfen, und stritten darum, wer die Autorität haben sollte, seine Worte auszulegen. Sie hörten nicht auf mich, und ich wollte nicht in die Streitigkeiten hineingezogen werden. In meiner Not erinnerte ich mich an dieses grüne Land am Ende der Welt, wo es noch einige wenige gab, die dem alten Wissen dienten. Deshalb suchte ich hier Zuflucht, und eure Druiden erlaubten mir, auf dieser Insel zu bleiben, denn sie sahen in mir einen Mann, der wie sie die Wahrheit hinter allen Geheimnissen sucht.«
Er hustete und schloß die Augen, während er nach Luft rang. Caillean legte ihm die Hand auf die Stirn und gab ihm die Kraft, die er brauchte, um weiterzusprechen.
»Danke ... «, murmelte er, und als sie ihm den Finger auf den Mund legen wollte, schüttelte er den Kopf. »Ich ... muß ... dir etwas sagen.« Er bat sie, ihm zu helfen, sich wieder aufzurichten. Gawen rückte die Kissen zurecht. Vater Joseph schien wirklich am Ende seiner Kräfte zu sein. »Das heilige Blut ... «
»Deine Brüder werden es bestimmt gut behüten ... «, unterbrach ihn Caillean.
Aber er schüttelte wieder den Kopf. »Seine Mutter sagte mir ... daß nach mir ... eine Frau das Blut behüten muß. Ich habe die Phiole an den alten Ring in der Nische ... im heiligen Brunnen gebunden.«
Caillean traute ihren Ohren nicht. Das eisenhaltige Wasser der Quelle hinterließ auf Stoff Flecken wie von getrocknetem Blut. Aber es war eiskalt und rein. Die Wissenden hatten zu ihrer Zeit ein Brunnenhaus über die Quelle gebaut. Es bestand aus einem einzigen behauenen Stein. Damit war die Quelle als heiliges Wahrzeichen für jeden erkennbar, der Augen hatte zu sehen. Doch nur die Eingeweihten wußten von der Nische im Brunnenschacht, die groß genug war, daß ein erwachsener Mann darin stehen konnte.
Die Nische ist ein gutes Versteck für das geopferte Blut ... bestimmt hat man sie früher zu ähnlichen Zwecken benutzt .
»Ich verstehe ... «, sagte die Hohepriesterin leise. »Ich verspreche dir, das Gefäß mit dem Blut gut zu bewachen
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