Die Herrin von Avalon
Gedanken brachten ihm wenig Trost.
Als er eines Morgens die Hütte verließ, um sich der Prozession anzuschließen, die auf den Tor zog, um die Sonne zu begrüßen, hörte er im Tal Klagerufe. Er lief den Abhang hinunter und wußte bereits, was geschehen war, bevor er die Mönche sah, die wie verwaiste Kinder vor ihren Hütten standen.
»Welch ein Unglück!« rief Bruder Alanus, als er Gawen sah. Tränen liefen ihm über das blasse Gesicht. »Vater Joseph ist von uns gegangen. Als Paulus heute morgen zu ihm kam, lag er bereits steif und kalt auf seinem Lager. Ich sollte nicht weinen ... «, fügte er schluchzend hinzu, »ich weiß, er ist bei unserem Herrn im Himmel. Aber es fällt mir sehr schwer, zu begreifen, daß er ganz allein in der dunklen Nacht gestorben ist ... ohne den Trost seiner Söhne. Noch schwerer fällt es mir, daran zu denken, daß er uns nicht vor dem Abschied gesegnet hat. Selbst während seiner Krankheit half uns der Gedanke, daß er wenigstens noch unter uns weilte. Er war schließlich unser Vater, unter dessen Schutz wir alle standen. Ich weiß wirklich nicht, was jetzt aus uns werden soll!«
Gawen nickte. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er erinnerte sich an den wundersamen Nachmittag, an dem Vater Joseph Caillean und ihm erzählt hatte, unter welchen Umständen er nach Avalon gekommen war. Gawen hatte das Licht, von dem er gesprochen hatte, nicht gesehen, aber sein Abglanz hatte aus den Augen von Vater Joseph geleuchtet. Deshalb glaubte er nicht, daß Vater Joseph diese Welt einsam und allein verlassen hatte. Die Söhne des Lichts, hatte er Caillean sagen hören, standen unter dem Schutz aller geistigen Kräfte.
»Er war auch für mich ein Vater«, murmelte er traurig und fügte dann hinzu: »Ich muß zurück und es den anderen sagen.« Gawen dachte jedoch nur an Caillean, als er sich eilig auf den Rückweg machte.
Am frühen Nachmittag begab sich die Herrin von Avalon zu den Nazarenern, um ihnen ihr Beileid auszusprechen. Wie schon einmal forderte sie Gawen auf, sich ihrem Gefolge anzuschließen.
Von der Verwirrung des frühen Morgens war nichts mehr zu spüren. Die Mönche hatten sich im Innern der Kirche versammelt und sangen ihre Lieder. Die Druiden mit der Hohepriesterin an der Spitze blieben stehen, und Gawen ging zum Tor des Gotteshauses.
Die Leiche des alten Mannes lag auf einer Bahre vor dem Altar. Fackeln brannten, und dichte Weihrauchwolken stiegen auf, so daß die dunklen Gestalten der Mönche wie Gespenster wirkten. Einen Augenblick lang glaubte Gawen, schimmernde Gestalten über dem Altar zu sehen, als werde Vater Joseph von den Engeln bewacht, von denen er ihm so oft erzählt hatte.
Bruder Paulus schien das Eintreffen der Heiden gespürt zu haben. Er stand auf und kam zu ihm ans Tor.
Gawen wich vor der dunklen Gestalt zurück, und der Nazarener trat ins Freie. Er hatte rotgeweinte Augen, aber sein Gesicht wirkte nicht sanfter durch die Trauer.
Unwillig richtete er den Blick auf die Hohepriesterin.
»Was wollt ihr hier?«
»Wir sind gekommen, um die Trauer mit euch zu teilen«, erwiderte Caillean freundlich. »Außerdem wollen wir einen guten Mann ehren und uns in aller Form von ihm verabschieden, denn Joseph war für uns alle wie ein Vater.«
»Dann kann er kein so guter Mann gewesen sein oder kein so guter Christ, denn sonst würdet ihr Heiden euch freuen«, erwiderte Paulus feindselig. »Um das klarzustellen, ich bin der Führer dieser Bruderschaft. Ich werde dafür sorgen, daß meine Brüder in der Ausübung ihres Glaubens rein und unbefleckt bleiben.«
Er richtete sich drohend auf und hob beide Hände. »Meine erste Handlung wird es deshalb sein, dem Kommen und Gehen zwischen unserer Bruderschaft und euch sündigen Priestern und Priesterinnen ein Ende zu bereiten. Höre meine Worte, Weib! Geh! Weder euer Mitgefühl noch eure Anwesenheit sind hier willkommen.«
Gawen trat instinktiv einen Schritt vor, als wollte er sich schützend zwischen die beiden stellen. Einige Druiden schüttelten zornig die Köpfe, aber Caillean blieb ruhig. Sie lächelte Paulus ein wenig belustigt an.
»Nicht willkommen? Wir haben euch die Erlaubnis gegeben, hier euer Gotteshaus zu errichten.«
»Das stimmt«, erwiderte Bruder Paulus und verzog abschätzig die Lippen, »aber das Land gehört Gott und nicht euch. Wir schulden den Anbetern von Dämonen und falschen Göttern nichts.«
Caillean schüttelte traurig den Kopf. »Willst du Vater Joseph verraten, noch ehe er begraben
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