Die Herrin von Avalon
Steine und hörte Wasser rauschen. Ihm blieb keine Wahl, er mußte um sein Leben kämpfen oder sie würden ihn in Fesseln zur Festung zurückbringen, wo man ihn zu einem ehrlosen Tod verurteilen würde.
Gawen sah inzwischen die Gesichter seiner Verfolger und zog den langen Dolch. Warum nur hatte er die Lanze zurückgeworfen? Jetzt hätte er sie brauchen können.
Plötzlich hörte er seinen Namen.
Er erstarrte. Die Legionäre kamen vor Anstrengung keuchend näher. Hörte er das Blut in seinen Ohren oder den Wind, der durch die Felsen strich?
» Gawen, komm zu mir! «
Es war die Stimme einer Frau. Unwillkürlich drehte er sich um. Die Schatten am Grund der Schlucht wurden vor seinen Augen dunkler. Dort war niemand zu sehen.
» Hast du vergessen? Nur bei mir bist du in Sicherheit ... «
Gawen glaubte, aus Verzweiflung habe er den Verstand verloren. Aber dann sah er ein Gesicht mit dunklen Augen und langen schwarzen Haaren. Er wurde plötzlich ganz ruhig, und als der erste der Legionäre den Rand des Abgrundes erreichte, lächelte Gawen und sprang in die Tiefe.
Die Römer hatten den Eindruck, er stürze in den Abgrund. Ein kalter Wind kam auf und ließ sie bis ins Mark erschauern. Selbst der Tapferste unter ihnen hatte keine Lust, dort unten die Leiche des Mannes zu suchen, den sie verfolgt hatten. Wenn er ein Feind gewesen war, würde er ihnen nicht mehr schaden. Wenn es ein Freund war, dann hatte er den Verstand verloren, und ihm war ohnehin nicht mehr zu helfen.
Auf dem Rückweg ins Tal vermieden es die Legionäre, über den Fall zu reden. Das Schweigen half ihnen, das Geschehene in jenen Bereich der Seele sinken zu lassen, an den man sich nur in Alpträumen erinnert. Selbst der Centurio hielt es nicht für angebracht, den Vorfall in seinem Tagesbericht zu erwähnen.
Die Römer hatten wichtigere Aufgaben, mit denen sie sich beschäftigen mußten. Die wenigen Überlebenden der Neunten Legion trafen nach und nach in Eburacum ein, wo inzwischen auch die Sechste aus Deva Stellung bezogen hatte. Sie wurden von den Legionären mit kaum unterdrückter Verachtung empfangen. Hadrian, der neue Kaiser, nahm die Nachricht von der Niederlage sehr ungnädig auf. Gerüchte wollten wissen, daß er im Zorn davon gesprochen hatte, nach Britannien zu kommen, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die Überreste der Neunten wurden auf andere Einheiten im Reich verteilt. Die Männer konnten die Entscheidung nur mit mißmutigem Schweigen entgegennehmen.
Centurio Rufinus, der sich für seine Rekruten eingesetzt hatte, fand ein freundliches Wort für den besorgten alten Macellius, der aus Deva nach Eburacum gekommen war, um sich nach dem jungen Macellius zu erkundigen. Rufinus wußte, daß man den jungen Mann als Kundschafter eingesetzt hatte. Es konnte durchaus sein, daß er deshalb an der großen Schlacht nicht teilgenommen hatte. Aber seit jenem verhängnisvollen Tag hatte ihn niemand mehr gesehen.
Kurz darauf machte sich die Sechste Legion an das grausame Werk, den Norden wieder zu befrieden. Der alte Macellius kehrte nach Deva zurück. Seine Gedanken kreisten immer noch um seinen Enkelsohn, den er in den kurzen Monaten des Zusammenseins ins Herz geschlossen hatte.
Ein strenger und nasser Winter folgte. Heftige Stürme brausten von Norden über die Wälder. Die schweren Regenfälle verwandelten Avalon wieder in einen riesigen grauen See, aus dem nur die Hügel wie winzige Inseln ragten, auf denen sich die Menschen zusammendrängten und auf den nächsten Frühling hofften.
Am Morgen der Tagundnachtgleiche wachte Caillean sehr früh auf. Sie fror, obwohl sie sich in dicke Wolldecken eingewickelt hatte und das Strohlager mit den weichen Schaffellen sonst warm genug war. Aber die feuchtkalte Winterluft drang durch alles hindurch und ließ selbst das Mark in den Knochen erstarren. Seit bei ihr das Mondblut nicht mehr floß, war sie immer gesund und kräftig gewesen. Doch an diesem Morgen spürte sie die bleierne Schwere des langen Winters und kam sich sehr alt vor. Plötzlich überkam sie eine panische Angst. Sie konnte es sich nicht leisten, alt zu werden! Die Gemeinschaft auf Avalon blühte selbst nach diesem schweren Winter. Es gab jedoch noch immer nicht genug geweihte Priesterinnen, auf die sie sich hätte stützen können. Alles würde auseinanderfallen, wenn sie nicht mehr die Kraft fand, das begonnene Werk fortzusetzen.
Sie holte tief Luft und schaffte es mit eiserner Konzentration, daß ihr Atem sich beruhigte
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