Die Herrin von Avalon
als die jungfräuliche Gestalt der Göttin gesehen hatte. Das war Caillean nicht entgangen.
Die Priester und Priesterinnen von Avalon heirateten nicht, aber Caillean wußte, daß in dieser Nacht eine königliche Vermählung stattfinden würde. Das geschah selten, und wenn, dann empfing aus dieser Vereinigung das ganze Land den Segen des neuen Lebens.
Ihr war schon lange bewußt, daß Gawen mit einer schicksalhaften Aufgabe geboren worden war, aber wer hätte sich vorgestellt, was nun für alle sichtbar wurde?
Die Hohepriesterin von Avalon mußte über ihre Begeisterung lächeln. Auf ihre Weise, so gestand sie sich ein, überließ sie sich wie eine junge Novizin schwärmerisch dem Traum von Gawen und Sianna, die mit ihr im Hintergrund als das geheiligte Königspaar von Avalon über die Gemeinschaft der Druiden in Albion herrschten.
Das kleine Volk hatte für das Fest zwei Ochsen geopfert. Sie wurden am Fuß des Hügels am Spieß gebraten. Das Fleisch sollte später in Körben hinauf zum Festplatz getragen werden. Die Bewohner der Siedlungen in den Sümpfen kamen mit eigenen Leckereien - gebratene Wasservögel und getrockneter Fisch. Zu einem ausgelassenen Fest wie Beltane gehörten jedoch auch Heidebier und Met.
Cailleans Blick richtete sich unwillkürlich nach Südwesten, zum Schein des Feuers, das auf dem Drachenhügel brannte. Sie wußte, von dort war das nächste Beltanefeuer zu sehen, und so ging es weiter bis hin zum äußersten Rand der Küste bei Landende. Auch die Ader der Kraft, die nach Nordosten zum großen Ring der Steine auf der Hochebene führte, war in dieser Nacht durch die Beltanefeuer für alle Augen sichtbar.
In dieser Nacht ist ganz Albion von einem Lichternetz überzogen, das auch die nur einmal Geborenen sehen können!
Ein Mädchen aus dem kleinen Volk verneigte sich und bot ihr aus einem Weidenkorb getrocknete Waldbeeren in Honig an. Caillean schob den dunklen Schleier zurück und nahm sich ein paar der Beeren. Als das Mädchen den silbernen Halbmond auf der Stirn der Hohepriesterin sah, sank sie vor ihr auf die Knie und eilte dann schnell weiter. Caillean zog den Schleier nicht mehr vors Gesicht. Es war die Nacht des Festes, in dem sich die Tore zwischen den Welten öffneten und die Geister aller Ebenen zusammenkamen. Es bestand kein Grund, sich zu verbergen. Der Schleier war ohnedies nur ein Symbol. Caillean konnte sich in Schatten hüllen, wenn sie es für notwendig hielt. Deshalb waren alle ihre Zöglinge davon überzeugt, daß sie fähig war, wie die Fee plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen.
Zum Dröhnen der Trommeln, die den Herzschlag der Versammelten im selben Takt schlagen ließen, gesellten sich jetzt die Klänge einer Harfe. Einer der jungen Druiden hatte sein Instrument auf den Tor gebracht. Er saß neben dem kleinen dunkelhäutigen Trommler mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, neigte den Kopf mit den blonden Haaren zur Seite und lauschte auf den Rhythmus. Es dauerte nicht lange, und eine Flöte fiel in die Musik ein. Die hellen Töne schienen fröhlich um die Harfenklänge zu hüpfen wie junge übermütige Kälber auf einer Frühlingswiese.
Eines der Mädchen, das einen Kranz aus duftenden weißen Blüten im Haar trug, sprang auf. Im Rhythmus der Musik bewegte sie anmutig ihre Arme und die schlanken Hüften unter dem engen Gewand aus Rehfell. Andere gesellten sich zögernd zu ihr, aber bald wurden sie kühner und ausgelassener. Der Tanz ließ sie alle Scheu vergessen. Die Trommel schlug schneller. Schweißtropfen glänzten auf den Gesichtern, und die Augen strahlten.
Wie schön sie sind , dachte Caillean und stellte fest, daß sogar sie sich zu den Klängen der Musik bewegte. Sie hatte schon seit vielen Jahren nicht mehr auf einem Fest getanzt.
Eine Veränderung bei den Tanzenden ließ sie aufmerksam werden. Es war eine fließende Bewegung wie die kleinen Wellenringe, die sich bilden, wenn jemand ins Wasser steigt. Die Mädchen und Frauen öffneten eine Gasse und drehten sich erwartungsvoll um. Caillean sah, daß Gawen auf dem Festplatz erschienen war.
Er trug den weißen Kilt eines Königs und einen goldenen Gürtel. Auf seiner Brust glänzte ein altes Symbol der Königsmacht, und auf dem Kopf hatte er einen Kranz aus Eichenblättern.
Sonst schmückten ihn nur die blauen Drachen auf den Armen. Mehr brauchte er nicht. In der Zeit bei den Römern war er zum Mann herangereift. Die weichen Züge der Jugend waren verschwunden. Das scharf gemeißelte Gesicht stand im
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