Die Herrin von Avalon
Paulus erschien mit hochrotem Gesicht.
»Gawen!« rief er außer Atem und sichtlich bewegt. »Mein armer Sohn, was haben sie dir angetan?« Der Mönch hob beschwörend die Hände und eilte auf Gawen zu. Drei seiner Brüder folgten ihm. »Haben sie dich gezwungen, den falschen Göttern zu huldigen? Hat diese Hure dich zu Schande und Sünde verführt?«
Gawens Belustigung wich Zorn. Er trat schützend vor Sianna.
»Ich bin zu nichts gezwungen worden. Und auch in Zukunft wird nichts dergleichen geschehen!« erklärte er ruhig, aber energisch. »Diese Frau hier ist meine Braut. Deshalb rate ich dir, sie nicht noch einmal zu beleidigen!«
Die anderen Nazarener hatten inzwischen den Gipfel des Tors erreicht und trugen in der Tat Hanfseile und Keulen bei sich. Gawen bedeutete Tuarim mit einer Geste, Sianna in Sicherheit zu bringen.
»Sie ist eine Dämonin, eine Sklavin des Bösen. So hat auch Eva im Paradies Adam zur Sünde verführt!« rief Bruder Paulus ihr nach und ballte die Fäuste. Dann drehte er sich um und sagte beschwörend zu Gawen: »Aber für dich ist es noch nicht zu spät, mein Sohn. Auch der heilige Augustinus durfte Buße tun, und er hatte seine ganze Jugend in Sünde gelebt. Wenn du dein Tun bereust, wird dir dieses einmalige Vergehen verziehen. Sage dich von ihr los, Gawen!« Er streckte die Hand aus. »Wende dich ab von den Heiden und komm mit mir!«
Gawen schüttelte den Kopf. »Vater Joseph war ein frommer Mann und eine der lichten Seelen. Er hat seinen Brüdern und allen Menschen nur Liebe entgegengebracht. Auf ihn hätte ich vielleicht gehört, aber er hätte niemals so etwas gesagt. Du bist ein alter Mann, der den Verstand verloren hat!« Er drehte sich um und sah die anderen Mönche an, und in seinem Blick lag etwas, das sie zurückweichen ließ.
»Jetzt werde ich euch etwas sagen, und ihr werdet auf meine Worte hören!« Er spürte, wie sich die Zeichen seiner geistigen Macht wie ein Königsmantel um ihn legten. »Ihr seid als Bittsteller zu uns gekommen, und wir haben euch Schutz gewährt. Wir haben euch erlaubt, am Fuß des heiligen Tors eure Kirche und eure Hütten zu bauen. Aber der Ring der Steine gehört den alten Göttern, die das Land mit ihrem Segen schützen. Ihr habt nicht das Recht, hier zu sein. Eure Füße entweihen den heiligen Boden. Deshalb sage ich euch: Geht! Wenn ihr nicht im Guten auf mich hört, wird euch der Fluch jener Kräfte treffen, die ihr herausgefordert habt!«
Er hob die Hand, und die Mönche wichen zurück, als bedrohe er sie mit dem Schwert. Gawen blickte sie finster an, und im nächsten Augenblick wären sie beinahe davongelaufen. Aber plötzlich hörten sie das Klappern genagelter Sandalen auf den Steinen.
Die Römer hatten den Gipfel erreicht. Es waren zehn Soldaten unter dem Befehl eines schwitzenden Decurio. Nach dem Aufstieg waren sie alle außer Atem. Sie musterten die verunsicherten Nazarener ebenso ungnädig wie die erzürnten Druiden.
Nach einem Blick auf Gawens goldbestickte Tunika entschied der Decurio offenbar, sie sei ein Zeichen seines Rangs. Er trat auf Gawen zu und sprach ihn an.
»Ich suche Gaius Macellius Severus. Man hat mir gesagt, daß er möglicherweise gegen seinen Willen hier festgehalten wird.«
Auf dem Platz wurde es still. Gawen schüttelte langsam den Kopf. Er hoffte, der Söldner sei noch nicht lange genug in Britannien, um auf den ersten Blick seine römische Herkunft zu erkennen.
»Wir begehen ein Ritual unserer Religion«, erwiderte er ruhig. »Wir halten niemanden gegen seinen Willen hier fest, um mit uns die Götter zu ehren.«
»Wer bist du, um das zu behaupten?« Der Decurio runzelte die Stirn.
»Mein Name ist Gawen, ich bin der Sohn von Eilan, der Hohepriesterin von ... «
»Laß dich nicht täuschen!« mischte sich Bruder Paulus ein. »Das ist der junge Gaius Macellius, den ihr sucht!«
Der Decurio sah Gawen verwundert an. »Dein Großvater schickt uns ... «, begann er, aber Paulus rief: »Legt ihn in Ketten. Er ist ein Deserteur! Er hat seine Legion verlassen!«
Die Soldaten wurden unruhig. Bruder Paulus nutzte die Gelegenheit und schickte seine Mönche zum Ring der Steine.
»Bist du wirklich der junge Macellius?« fragte der Decurio unsicher.
Gawen dachte nach. Wenn sich sein Großvater für ihn bei den Römern einsetzen würde, kam er vielleicht mit dem Leben davon.
»Das ist mein römischer Name, aber ... «
»Warst du beim Heer?« unterbrach ihn der Decurio.
Gawen drehte sich abrupt um, als er
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