Die Herrin von Avalon
werden«, sagte Eilned. »Ich erinnere euch an die Geschichte der Priesterinnen von Mona. Vernemeton war dazu da, die wenigen Überlebenden zu schützen.« Ihr kamen die Tränen, und mit erstickter Stimme fügte sie hinzu: »Wir hätten Vernemeton nie verlassen sollen ... «
»Vernemeton gibt es schon lange nicht mehr«, erwiderte Caillean erschöpft. »Nur weil Ardanos, der damalige oberste Druide, sich mit einigen angesehenen Römern in hohen Positionen gut verstand, gelang es, das Heiligtum der Göttin so lange zu halten. Wir konnten hier in Avalon in Frieden leben, weil die Römer nichts von unserer Existenz ahnten.«
»Wenn wir bleiben, werden sie uns töten. Wo sollen wir nur hin?« fragte Marged. »Selbst in den Bergen von Demetien können wir uns nicht verstecken. Sollen wir das kleine Volk bitten, uns Boote zu bauen, und zu den Inseln jenseits des westlichen Meeres segeln?«
»Leider«, sagte Riannon, »wird der tapfere Gawen diese Inseln wahrscheinlich vor uns erreichen.«
»Wir können in den Norden fliehen«, schlug Ambios vor. »Die Caledonier sind nicht von Rom unterworfen worden.«
»Zu Agricolas Zeit haben sie Rom gehuldigt«, erwiderte Brannos. »Wer kann uns versichern, daß nicht ein ehrgeiziger römischer Kaiser in naher Zukunft versucht, sie dem Reich einzuverleiben? Außerdem haben die Stämme des Nordens ihre eigenen Priester. Sie werden uns vielleicht nicht willkommen heißen.«
»Dann wird es den Orden der Druiden in Britannien nicht mehr geben«, sagte Riannon. »Wir müssen die Kinder, die uns anvertraut worden sind, zu ihren Eltern zurückschicken. Wir trennen uns, und jeder versucht, so gut wie möglich zu überleben.«
Brannos schüttelte den Kopf. »Ich bin für das Herumziehen zu alt. Ich werde hier bleiben. Die Römer sollen kommen und mit meinem alten Leib tun, was sie wollen.«
»Auch ich werde bleiben«, erklärte Caillean. »Eilan, die Hohepriesterin von Vernemeton, hat mir den Auftrag erteilt, der Göttin auf diesem heiligen Hügel zu dienen. Ich werde meinen Schwur halten.«
»Caillean, auch wir können nicht gehen ... «, begann Lysanda, aber ein Geräusch unterbrach sie. Sianna hatte sich erhoben und winkte ihnen.
»Gawen ist bei Bewußtsein!« rief sie. »Ihr müßt kommen!«
Caillean staunte, wie plötzlich alle Müdigkeit verflogen war. Sie erreichte als erste das Lager und kniete neben Gawen nieder. Behutsam bewegte sie die Hände über seinem Körper, um die Lebenskraft zu spüren. Sie war stärker, als sie es erwartet hatte. Gawen befand sich in der Blüte seiner Jugend. Er war gesund und stark. Sein Körper würde sich nicht kampflos von der Seele trennen.
»Ich habe ihm berichtet, was geschehen ist, nachdem er das Bewußtsein verloren hatte«, flüsterte Sianna, während sich die anderen um sie drängten. »Was habt ihr beschlossen?«
»Es gibt keinen Zufluchtsort für den Orden«, sagte Ambios. Er warf einen Blick auf das bleiche Gesicht von Gawen und senkte schnell den Kopf. »Wir müssen auseinandergehen und können nur hoffen, daß die Römer es nicht für lohnenswert halten, uns zu verfolgen.«
»Gawen kann nicht weggebracht werden, und ich werde ihn nicht verlassen!« rief Sianna.
Caillean sah, daß er sich bewegen wollte, und legte ihm schnell die Hand auf die Stirn. »Ruhig! Du mußt dich schonen!«
»Wozu?« hauchte Gawen, und erstaunlicherweise glaubte sie, einen Anflug von Humor in seinen Augen zu sehen. Dann richtete sich sein Blick auf Sianna. »Sie darf nicht ihr Leben riskieren ... für mich ... «
»Du hast die heiligen Steine mit deinem Leben verteidigt«, erwiderte Caillean.
Er versuchte, etwas tiefer zu atmen, und zuckte vor Schmerz zusammen. »Aber jetzt ... ist es zu ... Ende ... mit mir.«
»Was soll ich auf dieser Welt, wenn du nicht mehr lebst?« rief Sianna und beugte sich schluchzend über ihn. Ihre Schultern zuckten unter der Qual ihrer Trauer. Gawen verzog ungläubig das Gesicht, als er feststellen mußte, daß er nicht einmal die Kraft hatte, die Hand zu heben, um sie durch seine Berührung zu trösten.
Auch in Cailleans Augen traten Tränen. Sie glaubte, die Verzweiflung nicht länger ertragen zu können. Plötzlich spürte sie eine seltsame Wärme über ihrem Kopf. Sie blickte auf und sah, daß die schlanke Gestalt der Fee wie aus dem Nichts auftauchte. »Wenn die Priesterinnen dich nicht schützen können, meine Tochter, dann mußt du zu mir zurückkehren und dieser Mann ebenfalls. Ich kann für ihn sorgen. Bei mir
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