Die Herrin von Avalon
sie gerichtet hatten, verschwammen noch immer.
»Tut mir leid ... «, wiederholte sie, aber diesmal klang ihre Stimme kräftiger. »Ich wollte euch nicht erschrecken. Bitte helft mir beim Aufstehen.«
Wenigstens hatte sie noch genug von ihrer alten Disziplin besessen, um die unbezähmbaren Gewalten selbst zu ertragen, damit der Ring nicht zum zweiten Mal zerstört wurde. Die anderen wirkten ebenfalls erschöpft, aber niemand war zusammengebrochen. Caillean hatte das Gefühl, eine Herde wilder Pferde sei über sie hinweggaloppiert. Nach ein paar vorsichtigen und tiefen Atemzügen legte sich jedoch auch das schmerzhafte Pochen ihres Herzens.
Dann nahm etwas anderes ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Der Kreis teilte sich. Was hatten die Druiden vor? Vier der jüngeren trugen Gawen auf der Bahre in den Ring der Steine.
»Es war sein Wille, Herrin ... «, erklärte Ambios.
Auch im Sterben ist er der König .
Sie legten ihn behutsam auf den Altarstein. Gawen hatte die Zähne zusammengebissen, um die Schmerzen zu ertragen. Nach einer Weile schlug er die Augen auf.
Caillean sah ihn an. »Warum ... ?« flüsterte sie.
»Ich möchte dir helfen, wenn du es zum zweiten Mal versuchst«, erwiderte Gawen tonlos.
»Noch einmal?« Caillean schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe alles gegeben, was ich zu geben hatte ... «
»Wir müssen es noch einmal versuchen«, hörte sie Sianna sagen, die neben sie getreten war. »Haben wir nicht von dir gelernt, daß die Macht der Drei ein solches Werk zum Erfolg führen kann? Drei Verankerungspunkte sind immer besser ausgeglichen als einer allein.«
»Meinst du ... Gawen, du und ich? Wenn er hier im Ring bleibt, ist sein Leben in größter Gefahr. Er wird den Versuch nicht überleben, diese Kräfte zu lenken!«
»Ich werde ohnehin an meinen Wunden sterben ... oder wenn die Römer kommen«, sagte Gawen leise. »Ich weiß, im Sterben eines Königs ... entfaltet sich auf der geistigen Ebene etwas Großes. Ich glaube, sterbend werde ich mehr Kraft haben als noch vor einer Woche ... Jetzt weiß ich, wer ich bin und wer ich in anderen Leben war ... Die kurze Spanne, die mir hier noch bleibt, ist ein kleiner Preis für den Sieg ... , den wir drei erringen werden.«
»Ist Sianna auch dieser Meinung?« fragte Caillean.
»Es ist der Wunsch des Mannes, den ich liebe«, flüsterte sie. »Wie könnte ich es ihm abschlagen? Er war, ist und bleibt mein König.«
»Wir werden uns wieder begegnen ... « Er sah sie an, und dann sagte er zu Caillean: »Hast du uns nicht gelehrt, daß dieses eine Leben nicht alles ist?«
Die Hohepriesterin glaubte, das Herz werde ihr zerspringen. In diesem Augenblick sah sie nicht nur Gawen, sondern auch Sianna, und sie wußte, daß durch die Augen der jungen Priesterin ihre Seele zu ihr sprach und sie ihr so nahe war wie noch nie zuvor. Alle ihre früheren Begegnungen waren überschattet gewesen von dem Zwiespalt, daß sie ihr sowohl Liebe als auch Feindschaft entgegengebracht hatte.
»So sei es denn«, sagte Caillean ernst. »Wir werden zusammen unser Leben wagen, denn ich glaube, wir drei sind Glieder einer Kette.«
Sie richtete sich auf und sah die anderen an.
»Wenn auch ihr noch immer entschlossen seid, das Unvorstellbare zu wollen, dann begebt euch auf eure Plätze und haltet euch an den Händen fest. Diesmal werdet ihr nicht tanzen. Die beschädigten Steine können die Kraft nicht schleusen. Ihr müßt sie in Richtung der Sonnenbahn durch eure Hände leiten, während wir singen ... «
Wieder breitete sich auf dem Tor Stille aus. Caillean holte tief Luft und verwurzelte ihr Wesen im heiligen Tor. Dann stimmte sie die ersten Töne der alten Melodie an. Leise fielen mehr und mehr Stimmen ein. Es dauerte eine Weile, aber dann konnte die Hohepriesterin die Schwingungen der Töne als schimmernde Strahlen in der Luft sehen.
Nachdem sie den Gesang angestimmt hatte, schwieg sie. Auch Sianna und Gawen blieben stumm, doch Caillean spürte, daß sie die Kraft der Stimmen nutzten, um sich zu sammeln und ihre Energie auszurichten.
Das ermutigte sie, sich weiter vorzuwagen, und wieder fiel sie in eine tiefe Trance. Auf dieser Ebene konnte sie alles Geschehen ruhig und gelassen betrachten. Sie stimmte mit der inneren Kraft den zweiten heiligen Gesang an.
Alle Stimmen fanden sich in noch größerem Einklang zusammen, und die Lichtstrahlen wurden heller. Die Kräfte, die der Tanz beschworen hatte, waren lebhafter und leidenschaftlicher gewesen, dieses Licht schien
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