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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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abwenden.
    »Wenn mir ein Vater genommen worden ist«, sagte sie schließlich, »muß ich mir einen anderen suchen. Ich kenne keinen Mann, den ich lieber Vater nennen würde als dich.«
    Sie kauerte frierend wie ein kleiner Vogel am Feuer, und zum ersten Mal, seit er zum Barden geworden war, fehlten Taliesin die Worte.
    Ana wird es vielleicht noch bedauern, mich auf diese Reise geschickt zu haben. Diese Tochter ist keine Anara, die fügsam Wasser holt oder in den Tod geht, wenn die Herrin es befiehlt. Ich werde es nicht bedauern, daß sie künftig bei uns sein wird. Was für eine Priesterin kann aus diesem Mädchen werden!
    Viviane sah ihn erwartungsvoll an.
    »Am besten sagen wir deiner Mutter nichts davon«, antwortete er schließlich. »Aber das verspreche ich dir, ich werde dir ein so guter Vater sein, wie es mir möglich ist.«
    Sie erreichten das Ufer, als die Abenddämmerung gerade hereinbrach. Viviane betrachtete das Bild, das sich ihr bot, nicht gerade begeistert. Der Schnee vom Vortag hing in Krusten auf dem Schlamm, bildete Ränder um Schilf und Binsen, und es hatte schon wieder angefangen zu schneien. Die Pfützen waren bis auf den Grund gefroren. Das Eis, das im schwindenden Licht kalt glänzte, erstreckte sich bis hinaus in das zinnfarbene Wasser. Weiter unten am Ufer sah sie ein paar Hütten, die sich auf Pfählen über den Schlamm des Marschlandes erhoben. Am anderen Ufer konnte sie einen Hügel erkennen, dessen Kuppe Wolken verhüllten. Aus dieser Richtung drang leise das Läuten einer Glocke.
    »Gehen wir dorthin?«
    Taliesin lachte. »Ich hoffe nicht, obwohl das die einzige Insel ist, die wir zu Gesicht bekämen, wenn wir nicht zu Avalon gehören würden.«
    An einem Weidenast hing ein Kuhhorn mit eingeschnittenen Spiralen. Er nahm es herunter und blies hinein. Der hohl klingende Ton drang durch die stille Luft. Viviane staunte, aber Taliesin blickte unverwandt in Richtung der Hütten. Schließlich sah sie, daß sich etwas näherte. Zunächst hielt sie es für ein Bündel Reisig.
    Es war eine alte Frau, die in wollene Tücher gehüllt war und einen grauen Pelzumhang trug. Der Größe und dem Gesicht nach zu urteilen - denn mehr konnte Viviane nicht sehen -, mußte sie zum kleinen Volk gehören. Viviane wunderte sich, weil sich Taliesin plötzlich so merkwürdig verhielt wie jemand, dem eine Natter über den Weg läuft.
    »Edler Herr und junge Herrin, das Boot kann bei dieser Kälte nicht übersetzen. Gefällt es euch, in meinem Haus Unterkunft zu nehmen, bis sich eine bessere Gelegenheit bietet?«
    »Nein, das gefällt mir nicht «, erwiderte Taliesin entschlossen. »Ich habe geschworen, dieses Kind so schnell wie möglich nach Avalon zu bringen, und wir sind müde und erschöpft. Möchtest du, daß ich meinen Eid breche?«
    Die Frau lachte leise, und Viviane spürte ein Prickeln auf der Haut, das allerdings auch von der Kälte kommen mochte. »Das Wasser ist zugefroren. Vielleicht könnt ihr hinüberlaufen.« Sie sah Viviane an. »Wenn du zur Priesterin geboren bist, dann mußt du das Gesicht haben und wirst wissen, wo das Eis trägt und wo nicht. Hast du den Mut, es zu versuchen?«
    Viviane erwiderte den Blick stumm. Sie hatte bruchstückhaft manchmal seltsame Dinge gesehen. Aber sie wußte, daß man ohne Ausbildung dieser Art Sicht nicht trauen konnte. Sie war jedoch klug genug, um zu spüren, daß hinter dem Gespräch eine Bedeutung lag, die sie nicht verstand. Sie zog es vor zu schweigen.
    »Eis ist tückisch. Es scheint fest zu sein, plötzlich bricht es, und man geht unter«, sagte Taliesin. »Es wäre schade, wenn das Mädchen ertrinken würde, nachdem ich es den ganzen Weg hierher gebracht habe ... «
    Die Worte hingen in der kalten Luft, und Viviane glaubte zu sehen, daß die alte Frau unmerklich zusammenzuckte. Doch das mußte eine Täuschung gewesen sein, denn im nächsten Augenblick drehte sie sich um, klatschte in die Hände und rief etwas in einer Sprache, die das Mädchen nicht verstand.
    Und schon kletterten viele kleine dunkle, in Pelze gehüllte Männer die Leitern der Hütten nach unten. Das ging so schnell, daß sie die Frau die ganze Zeit beobachtet haben mußten. Aus dem Schutz des Schilfs zogen sie eine Barke hervor, die lang und breit genug war, um selbst die Reittiere aufzunehmen. Der Bug war schwarz. Das Eis splitterte und krachte, und Viviane war froh, daß sie nicht der Versuchung erlegen war, mit ihren Fähigkeiten anzugeben. Sie fragte sich, ob die alte Frau ihr

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