Die Herrin von Rosecliffe
schmale gerade Nase und die vollen geschwungenen Lippen, und wünschte sich, ihr tief in die Augen schauen und ihre Gedanken lesen zu können. Doch ihre Lider mit den langen dichten Wimpern blieben beharrlich gesenkt.
»Ich weiß nicht, was du anderswo gesehen hast«, sagte sie nach längerem Schweigen. »Meine heutige Zeichnung ist unter gewaltigem Druck entstanden, und -ich habe nur einem einzigen Gefühl Ausdruck verliehen - meinem Hass!«
»Hass ist ein sehr starkes Gefühl - ein leidenschaftliches Gefühl«, versuchte Rhys sie zu provozieren.
Aber Isolde kehrte ihm nur wortlos den Rücken zu. Er wollte sie bei den schmalen Schultern packen, herumreißen und an sich pressen, hielt sie aber stattdessen nur an einem Ellbogen fest. Trotzdem gab sie einen leisen Schreckenslaut von sich, als er sie sanft zur Tür zog. »Es ist Zeit zum Abendessen, und du hast dir einen Aufenthalt in der Halle redlich verdient - nicht nur durch deine künstlerischen, sondern auch durch deine sonstigen Leistungen.«
Endlich würdigte sie ihn eines Blickes - wachsam und misstrauisch.
»Mir ist klar, dass du dich um den Haushalt gekümmert hast obwohl ich es dir verboten hatte«, sagte Rhys lächelnd. »Als ich die Halle heute Morgen verließ, ging es dort nicht so geordnet und friedlich zu wie jetzt. «
»Vielleicht lag es an deiner Abwesenheit dass die Leute ein wenig zur Ruhe kamen«, fauchte Isolde, befreite ihren Arm und eilte die Treppe hinab.
Rhys schaute ihr grinsend nach. Dass es ihm immer wieder gelang, sie in Rage zu bringen, war amüsant und reizvoll - eine kleine Wildkatze, die es zu zähmen galt ... Vielleicht übte sie gerade deshalb eine solche Anziehungskraft auf ihn aus. Er hatte Frauen mit schöneren Gesichtern und üppigeren Kurven sein Eigen genannt erfahrene' Frauen, die alle Liebeskünste perfekt beherrschten und nichts unversucht ließen, um ihn in ihre Betten zu locken und zu befriedigen. Aber Isolde ...
Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Es war völlig unbegreiflich, warum er ausgerechnet dieses Mädchen so rasend begehrte, doch es war eine Tatsache, mit der er sich abfinden musste. Er begehrte Isolde und würde sie wieder in Besitz nehmen. Er musste sie haben, möglichst bald, denn dieses unsinnige Verlangen beeinträchtigte bereits sein klares Denkvermögen, auf das er immer so stolz gewesen war.
Rosecliffe gehörte jetzt ihm, und auch Isolde Fitz Hugh würde ihm gehören! Sie zu erobern würde ein reizvoller Zeitvertreib sein, eine sinnvolle Beschäftigung in den Tagen bis zur Rückkehr ihres Vaters und Onkels. Dann würde er sich das Mädchen aus dem Kopf schlagen und alle Kräfte auf den Endkampf mit seinen Feinden konzentrieren
Als Rhys in die Halle kam, hatte Isolde schon an einem der Tische im Hintergrund Platz genommen. Sofort richteten sich alle Augen auf ihn, alle warteten gespannt was er tun würde.
»Du wirst neben mir sitzen«, befahl er im Vorbeigehen.
»Nein.«
Er blieb stehen und drehte sich um. »Ich bin hier der Herr, und du wirst mir gehorchen oder aber die Konsequenzen tragen müssen. Ich dulde keine Aufsässigkeit das dürftest du bereits bemerkt haben.«
Isolde sprang mit funkelnden Augen auf. »Dann werde ich eben die Konsequenzen tragen!« Sie wollte zur Treppe gehen, aber er packte sie am Handgelenk und wirbelte sie herum. In blinder Wut schrie sie auf, holte mit der freien Hand weit aus und versetzte ihm ,eine schallende Ohrfeige.
Alle Zuschauer schnappten entsetzt nach Luft. Ansonsten herrschte Totenstille in dem großen Raum.
Isolde kam plötzlich wieder zur Besinnung. Was hatte sie getan? Und was würde er jetzt tun? Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Haut. Wie hatte sie nur derart die Beherrschung verlieren können, obwohl sie sich doch erst heute Vormittag geschworen hatte, auf offenen Widerstand zu verzichten? Wie wollte sie die nächsten zwei Wochen überstehen, wenn sie ihr Temperament nicht einmal für wenige Stunden zügeln konnte?
Rhys zog sie so dicht an sich heran, dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Sie nahm verschwommen wahr, dass irgendjemand sich nervös räusperte, dass ein Stuhl laut zurückgeschoben wurde, dass Schritte näher kamen. Aber dabei starrte sie wie hypnotisiert in Rhys' schwarze Augen.
»Du hast rasendes Herzklopfen«, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte. »Hast du Angst?«
Wie gern sie das verneint hätte! Doch ihr war klar, dass er die Wahrheit an ihrem Gesicht ablesen
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