Die Herrin von Rosecliffe
konnte endlich beginnen. Alle atmeten auf, ließen es sich schmecken und plauderten, so als wäre nichts geschehen.
Trotzdem konnte von Normalität natürlich keine Rede sein - jedenfalls nicht für Isolde. Mit zusammengebissenen Zähnen reichte sie Rhys die Platten mit besonders zarten Stücken Perlhuhn und Aal, die Schüsseln mit geschmortem Gemüse und bestrich Weißbrot mit gesalzener Butter, wobei ihr eigener Magen ständig knurrte. Aber sie würde eben später mit den anderen Dienstboten essen müssen.
Als Linus und Gandy zu ihren Instrumenten griffen, um für Unterhaltung zu sorgen, wollte Isolde sich unauffällig entfernen, doch Rhys bemerkte ihre Absicht und winkte sie gebieterisch zurück.
»Hol meine Laute«, befahl er. »Du hast seit mehreren Tagen keinen Unterricht mehr gehabt.«
»Die Laute?« Sie starrte ihn völlig entgeistert an. Beide dachten daran, dass er ihr musikalisches Interesse ausgenutzt hatte, um sie zu verführen. Isoldes Augen sprühten vor ohnmächtigem Zorn und Hass. »Ich habe keine Lust mehr, Laute spielen zu lernen«, fauchte sie.
Seine Miene wurde noch ein wenig arroganter. »Das mag ja sein, aber leidenschaftliche Wut inspiriert nicht nur in der bildenden Kunst sondern auch in der Musik oft zu wahren Meisterwerken. Hol die Laute, Weib! Ich möchte dich singen und spielen hören, bevor ich zu Bett gehe.«
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. »Ich bin wahrlich nicht in der Stimmung, um zu singen.«
Rhys schüttelte nachsichtig den Kopf, so als hätte er ein widerspenstiges Kind vor sich. »Hast du noch immer nicht begriffen, dass du dich meinem Willen beugen musst? Ich werde dich hier in der Halle spielen und singen hören.« Er senkte die Stimme. »Oder aber ich werde dich in meinem Schlafzimmer seufzen und stöhnen hören. Was ist dir lieber?«
Isolde, schnappte entsetzt nach Luft. Sie hätte ihn gern angebrüllt, aber seine Worte hatten ihr die Sprache verschlagen. Zum Glück hatte er so leise geredet, dass außer ihr niemand etwas gehört hatte. Trotzdem stieg ihr bei der bloßen Vorstellung, dass sie ungewollt wieder in seinen Armen stöhnen könnte, heiße Schamröte ins Gesicht. Mit weichen Knien stieg sie die Treppen zu seinem Zimmer hinauf, um die Laute zu holen. In Anbetracht der Alternative, die er ihr gestellt hatte, blieb ihr ja nichts anderes übrig als für ihn zu singen und zu spielen ...
In seinem schwach beleuchteten Zimmer schien der riesige Drache sie zu verhöhnen. Isolde betrachtete die Zeichnung, die sie in blinder Wut entworfen hatte, und musste Rhys zu ihrem großen Leidwesen Recht geben: diese Skizze verriet wilde Emotionen, ungezügelte Leidenschaft.
»Taran!«, fluchte sie auf Walisisch vor sich hin und kehrte dem Bild verzweifelt den Rücken zu. Morgen würde sie die Szene abändern, kraftloser gestalten, schwor sie sich. Dieses Wandgemälde würde kein Meisterwerk werden!
Und sie würde sich nicht mehr von Rhys manipulieren lassen! Nie mehr!
Kapitel 15
Das Hündchen Cidu machte seine Kunststücke. Gandy sang und warb wieder um Linus, seine h iesige Liebste. Die Menschen in der Halle, die gut gegessen und getrunken hatten, entspannten sich immer mehr und klatschten sogar Beifall, als zwei Pagen nur einige Purzelbäume schlugen, was Gandy ihnen beigebracht hatte.
Dann sorgten drei der Hunde von Rosecliffe ungewollt für noch größere Heiterkeit: sie hetzten Cidu, den sie als frechen Eindringling in ihrer Halle betrachteten, kreuz und quer durch den riesigen Raum, rannten dabei ein Dienstmädchen über den Haufen, knurrten und bellten bedrohlich. Cidu ließ sich von seinen Artgenossen jedoch nicht einschüchtern, kläffte herausfordernd unter Bänken und Tischen und schlug Haken wie ein Hase. Es bedurfte dreier kräftiger Männer und zweier Pagen, um die wilde Verfolgungsjagd zu beenden und die großen Hunde an die Luft zu setzen. Alle lachten amüsiert als Cidu daraufhin triumphierend Männchen machte.
Alle außer Isolde.
Sie stand hinter Rhys, hielt die Laute mit feuchten Händen umklammert und wartete wie ein gut geschulter Dienstbote darauf, dass ihr Herr irgendwelche Wünsche äußerte.
Ihr Herr ... Wie sie es verabscheute, ihn zu bedienen! Aber ihr blieb im Augenblick ja nichts anderes übrig, und sie musste sich mit dem Gedanken trösten, dass dieses schwere Schicksal nur von sehr kurzer Dauer sein würde. Folglich stand sie wie angewurzelt auf ihrem Platz, ärgerte sich über die allgemeine Fröhlichkeit und konzentrierte ihren
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