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Die Herrin von Sainte Claire

Die Herrin von Sainte Claire

Titel: Die Herrin von Sainte Claire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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ihr Vater erklärt, sei ein bedauerlicher Zustand. Aber nur ein einfältiger Mann oder ein Feigling, zöge keinen Gewinn aus der gegenwärtigen Lage.
    Doch durch eine unglückliche Wendung des Schicksals wurde Brix das Opfer und nicht der Nutznießer der Umstände. An einem kalten Morgen, gerade als es im Osten hell wurde, rüttelte Thurgood Rorik unsanft aus dem Schlaf und forderte ihn auf, sofort in seine Rüstung zu steigen. Lärmen und Rufe durchdrangen die morgendliche Stille. Er vernahm den Tumult im großen Saal im unteren Geschoß, wo sich die Ritter seines Vaters versammelt hatten.
    Rorik sprang aus dem Bett, und die Vorfreude auf ein Abenteuer ließ seinen Puls höher schlagen. Obwohl erst fünfzehn Jahre alt, war er größer als die meisten erwachsenen Männer. Mit Schwert und Lanze konnte er beinahe schon ebenso geübt umgehen, wie die meisten Burgritter. Und er war begierig darauf, sich in den Augen seines Vaters zu beweisen.
    Er zog ein frisches Hemd und eine wollene Tunika an, dazu lederne Wickelriemen mit Kniegürtung, ein Schulterband und eine Halsberge, die ihm sein Vater ein Jahr zuvor geschenkt hatte. Das Kettenhemd reichte ihm vom Hals bis zu den Knien und bedeckte Arme und Ellbogen. Dann klemmte er seinen Normannenhelm unter den Arm und eilte die engen Treppen zum Saal hinab.
    Die Burgritter kreisten langsam um die Feuerstelle und kauten dabei an großen Brot- und Käsestücken, die sie mit dem wohlschmeckenden Bier hinunterspülten, das Roriks Mutter Theoda gebraut hatte. Als Rorik auf die Feuerstelle zuschritt, warf ihm Thurgood eine Brotschnitte und eine dicke Scheibe Käse zu. »Geschwind! Wir müssen schnurstracks auf die Zinnen. Der heutige Tag verspricht kurzweilig zu werden. Ein Botenläufer aus Gauchemain ist vor einer Stunde mit der Nachricht hereingewankt, daß ein Heer sich durch den Wald anschleichen würde.« Er grinste übers ganze Gesicht. »Niemand anderer als dieser Bastard Fulk steht an seiner Spitze.«
    »Fulk!« entfuhr es Rorik, der gerade einen großen Bissen Käse kaute. »Der Mann hat den Verstand verloren!« Daß Fulk großen Neid gegen seine Nachbarn hegte, war jedermann bekannt. Sein Besitz war erbärmlich klein, ein Trostpflästerchen seines Vaters, dessen Reichtum und Macht an seine ehelichen Söhne übergegangen war. Ein Heer, das Fulk aufgestellt hatte, könnte niemals einer so starken Festung wie Brix gefährlich werden.
    Sie erreichten die Zinnen der äußeren Mauer, gerade als Fulks Heer im Osten aus dem Wald auftauchte. Das Heer war größer als sie erwartet hatten. Fulk hatte offensichtlich von seinen Halbbrüdern Hilfe angeworben, oder einem Söldnertrupp eine große Beute versprochen. Aber Brix würde auch einem Heer Widerstand leisten können, das viel mächtiger war, als jenes, das sich nun außerhalb der Mauern zusammendrängte.
    Die Knaben standen oben auf den Zinnen und beobachteten, wie Fulk sich näherte. Ihr Vater, Stephen, Vicomte von Brix, und einer der Burgritter schlossen sich ihnen an, in dem Augenblick als Fulk sich von seinem Heer löste, kühn auf die Barbakane lospreschte und knapp einen Pfeilschuß weit von den Doppeltürmen der äußeren Mauer Halt machte. Sogar von der Mauer herunter konnte Rorik feststellen, wie selbstgefällig er auf seinem Streitroß saß, beinahe als wäre er der König und kein minderer Baron, der nicht einmal rechtmäßigen Anspruch auf seinen Vater erheben konnte.
    »Ich habe immer schon vermutet, Fulk sei ein Tollhäusler«, bemerkte Stephen. »Aber jetzt bin ich mir gewiß.« Mit lauter Stimme richtete er sich an die Gestalt, die vor den Palisaden auf seinem Pferd tänzelte. »Was begehrt Ihr, Fulk? Kommt Ihr mit Eurem lumpigen Heer, mir einen Besuch abzustatten?«
    »Ihr wißt, was ich begehre, Stephen. Für die Kränkung, die Ihr mir bei unserer letzten Begegnung zugefügt habt, erkläre ich den Krieg zwischen uns.«
    »Krieg also? Es ist Brauch, ihn sieben Tage vorher anzukündigen. Schon jetzt macht Ihr Eurem Namen Unehre.«
    »Zur Hölle mit der Erklärung. Fürchtet Ihr Euch, gegen mich im Kampf anzutreten?«
    Stephen lachte in sich hinein. »Kämpft der Adler gegen die Ratte? Kehrt zurück zu Eurem feuchten Steinhaufen, den Ihr Euer Zuhause schimpft, Fulk. Ihr werdet mich nicht herauslocken können, damit Eure Bogenschützen mich treffen.«
    Fulk kehrte in steifer Haltung und wutschnaubend zu seinem Heer zurück. Stephen, in Begleitung seines Ältesten und seines Jüngsten, nahm seine Runde um die Zinnen

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