Die Herrin von Sainte Claire
leid, daß man sich um mich wie die Hunde um einen Knochen rauft. Ich will nicht als Kriegsbeute enden. Und auch nicht als Gefallene.«
Aufgewühlt starrte sie in Joannas versteinertes Gesicht. »Verstehst du denn nicht? Es gibt einen Ausweg für uns! In dem Augenblick, als Gilbert sich zum Sieger erklären wollte, sind wir befreit worden. Er wird nie Herr auf Ste. Claire sein. Die Fallgatter und das Tor sind abgerissen, also können die Mauern nicht mehr verteidigt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, ehe die neuen Angreifer in den Burghof eindringen. Gilbert wird nicht so lange ausharren, um einer Belagerung zu widerstehen. Dazu müßte er seine eigene Burg von Prestot ohne Verteidigung zurücklassen.«
»Und weiter?«
»Also wird er fliehen und uns der Gnade und Ungnade dieses neuen Eindringlings überlassen.«
»Und was willst du dagegen unternehmen?«
»Ich lasse dir genügend Gefolgsleute da, um die Burg zu beschirmen. Den Rest nehme ich mit mir in den Wald. Sind wir sicher entkommen, reite ich nach Brix und bitte Fulk um Hilfe.«
»Wir sind nicht mehr an Brix gebunden.«
»Nur weil man Vater sich geweigert hat, Fulk den Treueschwur zu leisten. Vielleicht aber sieht Fulk einen Vorteil für sich, wenn er uns zu Hilfe kommt und dadurch meine Lehnstreue als Erbin von Ste. Claire erhält.«
Joanna runzelte argwöhnisch die Stirn. »Fulk ist ein gesetzloser Schurke. Gelingt es ihm, die Eindringlinge in die Flucht zu schlagen, was läßt dich in dem Glauben, daß er Ste. Claire nicht für sich selbst erobert?«
»Warum sollte er das tun, wenn er es rechtmäßig in seinen Besitz bringen kann?«
»Und wenn er uns nicht zu Hilfe kommt?« Joanna schüttelte den Kopf voller Zweifel.
»Wenn er uns nicht zu Hilfe kommt … nun, in den Vorratsspeichern ist genügend Nahrung vorhanden, um einer Belagerung von mindestens ein paar Wochen standzuhalten. Ich kann dem Gegner vom Wald aus die Hölle heiß machen. Er wird in die Enge getrieben zwischen dem Angriff von der Burg und dem von uns.«
Joanna seufzte resigniert. »Du bist verrückt, Alaine. Das kann niemals gelingen.«
»Was kann nicht gelingen?« Die Stimme Sir Olivers erscholl vom Türrahmen her. Garin stand unmittelbar hinter ihm. Beide Männer machten einen erschöpften Eindruck. Auf Garins Stirn prangte eine hastig verbundene Wunde, die noch blutete.
Alaine erklärte ihren Plan. Sir Oliver schüttelte zweifelnd sein Haupt, Garin jedoch sprang für Alaine in die Bresche.
»Es könnte zum Erfolg führen«, gab er zu bedenken. »Fulk ist ein gerissener Bursche. Wenn er die Gelegenheit sieht, Ste. Claire in seinen Besitz zu bringen … Vielleicht kommt er dann.«
»Es ist ein großes Wagnis«, mahnte Sir Oliver zur Vorsicht. »Fulk ist die Inkarnation einer Schlange, und sein Sohn ist kein Deut besser. Wir setzen Ste. Claire einer großen Gefahr aus, wenn wir ihm Macht über uns gewähren.«
Alaine schürzte ungeduldig die Lippen. »Und Ihr meint, Ste. Claire sei jetzt nicht in Gefahr?«
Sir Oliver wischte sich mit verschmutzen Händen über die Stirn. »Da habt Ihr nicht ganz unrecht, Herrin.« Er hatte schon immer Bewunderung für Sir Geoffreys blonde Tochter gehegt, auch wenn sie sich mehr wie ein Jüngling als wie ein Fräulein benahm. Sie hatte einen tüchtigen Verstand für eine Frau und ein völlig unweibliches Talent für die Kriegskunst. Ihr Plan stellte ein gewagtes Unternehmen dar, aber auch er konnte dem nichts Besseres entgegensetzen.
»Dann ist es also beschlossene Sache.« Alaine faßte das beklommene Schweigen als Zustimmung auf.
Die folgenden Stunden verbrachte Sir Oliver damit, unauffällig etliche Krieger von Ste. Claire aus der Schlacht herauszuholen. Die Entscheidung, wer zur Verteidigung der Burg bleiben und wer mit ihr gehen sollte, hatte ihm Alaine überlassen. Sie hatte lediglich auf die Begleitung von Garin bestanden. Wenn sie es sich aber nun recht überlegte, kamen ihr Zweifel, ob sie von Garin nicht mehr verlangte, als ihr zustand.
»Ihr habt beinahe Euer ganzes Leben auf Ste. Claire verbracht, Garin«, unterbrach sie eine ihrer Gesprächspausen, während sie oben in der Kemenate heimlich den Fortgang der Schlacht beobachteten. Sie wußte nicht recht, wie sie es in Worten fassen sollte, was ihr auf dem Herzen lag.
»Ganz recht«, bestätigte er. »Mein Vater schickte mich fort aus dem Elternhaus, da konnte ich gerade ein Holzschwert in den Händen halte. Dies ist mein einziges Zuhause.«
»Mein Vater hätte Euch in
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