Die Herrin von Sainte Claire
dem Ste. Claire zusammenfloß, wäre dies sein Ende. Alaine zwang sich, ein ängstliches Zittern um sich und die Männer zu unterdrücken. Schließlich kam sie an der Reihe.
»Gott sei mit Euch, mein Kind.« Der Priester küßte sie keusch auf die Stirn. Dann nahm Sir Oliver ihre Hand und drückte sie fest.
»Setzt Euer Leben nicht aufs Spiel, wenn Ihr Gilbert bei der Verteidigung des Burgtores Hilfe leistet«, erklärte sie ihm. Sie versuchte das leise Beben ihrer Stimme zu beherrschen.
»Macht Euch keine Sorgen um mich, Herrin.« Alaine erahnte in der Dunkelheit sein herzliches Lächeln. »Wir werden bei Eurer Rückkehr alle noch hier sein.«
»Steht meiner Stiefmutter und meinen Stiefschwestern zur Seite.« Der Versuch eines tapferen Lächelns verrutschte ihr zur Grimasse. Sie drehte sich um und huschte durch die Pforte, stolperte den steinigen Abhang hinunter, sammelte sich einen kurzen Augenblick und glitt dann lautlos ins eiskalte Wasser des Ste. Claire.
4
Naßkalter Nebel verhüllte die Wälder. Eisiger Regen nieselte vom wolkenbehangenen Himmel und fiel leise trommelnd auf den Teppich aus toten Blättern. Er rann in Alaines Mantel hinein und troff in winzigen Eisbächen an ihrem Rücken hinab. Mit tief gesenkten Köpfen stapften die Pferde im Regen durch den halbgefrorenen Schlamm. Mattigkeit lastete auf Reiter und Pferden wie eine zentnerschwere, stickige Decke.
Die kaum sichtbare Jagdfährte, der sie gefolgt waren, führte durchs Unterholz und öffnete sich plötzlich auf eine kleine Lichtung. Ein freudiges Hallo empfing die Reiterschar, und Alaine gab ihren ermatteten Gefolgsleuten schließlich die Erlaubnis zu halten. Noch ehe sie absitzen konnte, stürzte Garin auf sie zu und stand hilfsbereit neben ihrem Steigbügel. Wie gut, daß er zur Stelle war, um sie aufzufangen, denn kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, versagten ihre erstarrten Beine den Dienst.
Besorgt geleitete Garin sie zu einem Baumstumpf, der notdürftig als Sitzbank neben der Feuerstelle diente. »Was gibt’s für Nachrichten?« fragte er wißbegierig.
»Keine guten.« Ächzend winkelte Alaine die Beine, um sich zu setzen.
»Fulk hat abgelehnt? Dieser gemeine Bastard …!«
»Fulk war nicht anwesend.«
»Er war nicht da?«
Langsam näherten sich die anderen, um ebenfalls die Nachrichten zu hören. Alaines Worte lösten ein deutlich vernehmbares Murren unter ihnen aus.
»Er ist vor ein paar Wochen mit einem großen Teil seiner Krieger fortgeritten und hat sich zu Guy von Burgund gesellt. Es heißt, eine Verschwörung sei im Gang, um William zu stürzen und Guy auf seinen Thron zu setzen.«
Jemand überreichte Alaine eine Holzschüssel mit herzhaft schmeckendem Wildbraten. Sie bedankte sich mit einem müden Kopfnicken.
»Wir haben in den letzten zehn Jahren ständig von solchen Verschwörungen und ähnlichen Gerüchten gehört«, brummte einer der Männer verdrossen.
Alaine zuckte die Achseln und nahm einen Bissen von dem Braten. »Nun denn. Aus welchen Gründen auch immer, Fulk und sein Sohn sind verschwunden. Ich habe mit seiner Gemahlin Theoda eine Unterredung gehabt, aber sie blieb wortkarg. Ehrlich gesagt, die Dame schien mir etwas verwirrt im Kopf. Ich habe mich manchmal gefragt, ob sie meinen Worten überhaupt folgen konnte. Sie murmelte etwas vor sich hin, ich solle mich in acht nehmen – irgend etwas über Fulk, der nach seiner Rückkehr nach Ste. Claire kommen würde, um es zu erobern, da mein Vater ja nun tot sei.«
Die Gesichter rund um den Feuerschein zeigten finstere Mienen.
Bedrückt starrte Alaine ins Feuer. Sie war zu erschöpft, um die Mannen ein wenig aufzumuntern, die ihr doch bei diesem wagemutigen Unternehmen gefolgt waren. Da war aber doch noch ein Fünkchen Hoffnung.
»Der Drache wird sich nicht allzulang auf Ste. Claire aufhalten«, fuhr sie fort und bemühte sich, etwas zuversichtlich zu klingen. »Der Bergfried ist für ihn uneinnehmbar. Wir werden ihn bei jeder Gelegenheit, die sich uns bietet, angreifen. Das Land gibt in diesem Herbst nichts her, mit dem er sein Heer ernähren könnte. Die Ernte war mager. Der Winter wird früh einbrechen. Wir werden noch siegen.«
Garin räusperte sich und sah betreten zu Boden. »Die Burg hat sich ergeben.«
Fassungslos starrte Alaine zu ihm empor. Beim Anblick ihrer Miene wichen die Gefolgsmänner wie ein Mann einen Schritt von der Feuerstelle zurück.
»Was sagt Ihr da?« fragte sie leise-bedrohlich.
»Die Burg hat sich ergeben, Alaine. Der
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