Die Herrin von Sainte Claire
Rorik unter dem zappelnden Pferd sein Bein zu befreien. Sein Helm war ihm durch den Sturz vom Kopf gefallen, dunkelrote Blutrinnsale quollen ihm aus einer verborgenen Wunde unter seinem schwarzen Haarschopf hervor. Die Szene spielte sich in alptraumhaftem Schneckentempo vor ihren entsetzten Augen ab. Sie wollte laut aufschreien, als sie Gilbert in die Richtung auf Roriks ungeschützten Rücken herangaloppieren sah. Von der Art wie er seine Lanze hielt, wußte sie, er hatte die Absicht, ihm einen Todesstoß zu versetzen und keine Siegestrophäe zu erringen. Mit einem Bein noch unter dem Pferd begraben, vernahm Rorik das Herannahen donnernder Hufe.
Endlich fand Alaine ihre Stimme wieder und sprang mit einem Entsetzensschrei von ihrem Sitz hoch. Ihre vergebliche Warnung ging in dem aufkommenden Tumult der Menge unter. Das Bild des niedergestreckten Ritters und heimtückischen Angreifers zog in quälender Langsamkeit an ihr vorbei und ging jäh in verwirrende Geschwindigkeit über. Auf einmal befand sich Garin zwischen Gilbert und seinem hilflosen Opfer. Gleichzeitig war es dem braunen Hengst gelungen, sich aufzurappeln. Rorik stolperte auf die Beine und wirbelte herum, das Schwert in der Hand, um seinem Angreifer zu begegnen. Garin hatte jedoch schon mit haßverzerrtem Gesicht Gilbert herausgefordert, der nun, nachdem er die Lanze von sich geschleudert hatte, mit wildfuchtelndem Breitschwert auf den Jungen losstürzte.
»Haltet ein!« dröhnte William in das Wirrwarr hinein. »Haltet ein! Ich befehle es!«
Widerwillig trat Gilbert zurück. Während Garin seinen Gegner mißtrauisch im Auge behielt, warf er einen kurzen Blick nach hinten zu Rorik, der eben sein Schwert in die Scheide steckte und versuchte, sein vom Kampf erregtes Pferd zu beruhigen.
Williams Befehl war kaum verklungen, da bahnte sich Alaine schon den Weg durch die Zuschauertribüne. Sie entdeckte am Absperrzaun eine Öffnung, schlüpfte hindurch und rannte aufs Turnierfeld hinaus.
»Oh, Himmel!« schrie sie, als sie an die Seite ihres Mannes gelangte. Seine eine Gesichtshälfte war dunkelrot, oberhalb seines Ohres klebte seine schwarze Mähne voller Blut und Sand. Vorsichtig hielt er den linken Fuß vom Boden hoch. Sie sah, wie das Blut durch seine dreckstarrenden Wickelriemen troff.
Beim Geräusch ihrer Stimme wandte er sich um. Dort, wo nicht Blut über sein Gesicht rann, war es von Schweiß und Erde verschmiert.
»Es ist nicht so schlimm, mein Liebes«, sagte er, als er die aschene Farbe ihres bestürzten Gesichts gewahr wurde. »Macht Euch keine Sorgen.«
»Ich soll mir keine Sorgen machen? Ihr wäret beinahe getötet worden! Wo ist dieser Rüpel de Prestot?«
»Beruhigt Euch, Mylady«, warnte sie William. »Es ist kein Unglück passiert. Sir Gilbert hat in der Hitze des Gefechts über die Bresche geschlagen. Er hat sich schon zurückgezogen wie Ihr seht.« Er deutete zum Baldachin, wo Gilbert im Gespräch mit seinem Knappen stand, als sei nichts geschehen.
»Er hat es nicht mit böser Absicht getan«, erklärte Rorik mit milder Stimme.
Alaine glaubte nicht daran. Und es kam ihr vor, daß Rorik es auch nicht glaubte, trotz seiner Worte.
Nun drehte sich Rorik zu Garin, der auf seinem Pferd saß. »Garin de Longchamps, Ihr habt Euch mehr als würdig erwiesen, zum Ritter erhoben zu werden. Ich würde Euch gerne jederzeit in einer Schlacht hinter mir haben.«
»Ich danke Euch, Mylord«, erwiderte ihm Garin strahlend.
»Und es freut mich, daß Ihr nun nicht gegen mich, sondern mit mir reitet, Junge.«
»Euch gehört meine Treue und mein Schwert, solange es Euch gefällt, Mylord.«
14
Alaine sprach kein Wort. Sorgfältig wusch sie Blut und Erde aus Roriks Kopfwunde. In dem Augenblick, als sie aufs Turnierfeld gestürzt war, hatte sich ihre Wut auf Rorik in Nichts aufgelöst. Nun saß er da mit stoischer Miene. Sie machte sich weiter daran, die klaffende Rißwunde auf seiner Kopfhaut zu reinigen. Beim Abnehmen des Helms hatte der Schnitt sich vergrößert und mußte, um zu heilen, dringend an einigen Stellen genäht werden. Alaine rief die Dienstmagd herbei, die eben für das Bad des Herrn dampfendheißes Wasser in den Holzzuber goß.
»Elizabeth, hol mir einen dünnen Faden und eine unbenutzte Nadel. Und etwas Wein.«
Kaum hatte sich die Magd auf den Weg gemacht, riskierte Rorik einen skeptischen Blick auf seine Frau. »Ich glaube, Eure Hand ist ruhiger ohne Wein.«
Sein Gesichtsausdruck brachte sie zum Lachen. »Der Faden wird in Wein
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