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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
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Friedenau nicht weniger, und so fahre ich Tag und Nacht zwischen beiden Ländern hin und her. Vergessen hat er nichts. Manches begreift er überhaupt erst jetzt, wie zart und klug sie gewesen ist, als hätte sie seit jeher alles über ihn gewusst.
    Gegen Mitternacht hat sie ihre Antwort zum Postkasten gebracht, bis zum letzten Moment im Zweifel, denn imGrunde hat sie nur gestammelt. Dora-Land also ist Friedenau? Dann suchen wir etwas in Friedenau. Zufällig habe ihr Bekannter kürzlich geschrieben, er sei bereit, zu helfen, brauche allerdings genaue Angaben, die Zahl der Zimmer, einen Preis. Davon abgesehen hat sie das meiste nicht sagen können. Sie hätte gerne, dass er ihr sein Zimmer beschreibt, den Blick aus dem Fenster. Ziemlich am Anfang hat er einmal davon gesprochen. War da nicht eine Kirche? Etwas Ausländisches, sie weiß nicht mehr. Weißt du noch, Jesaja? Sie möchte ihm gerne vorlesen, denn mit den Kindern ist es nicht dasselbe, nichts ist dasselbe, seit er weg ist, erst gestern hat sie lange unter seinem Balkon gestanden, das Zimmer ist wieder belegt, eine ältere Frau bewohnt es, aber hat sie dazu ein Recht?
    Sie wartet nicht. Sie liest bei jeder Gelegenheit, was er geschrieben hat, sie spricht mit ihm, sie ist unruhig, aber nicht fassungslos, außerdem hat sie die Kinder, täglich drei Mahlzeiten, sie sitzt in der Küche, wo er noch immer ist, nachmittags am Strand, wo die Kinder sie verspotten, weil sie nicht gut zuhört, weil sie mit ihren Gedanken immerzu woanders ist.
    Er hat ihr Geld geschickt, mehrere Scheine in einer fremden Währung, für die sie keine Erklärung hat. Im ersten Moment nimmt sie an, es sei eine Art Vorschuss für das Zimmer, aber dann liest sie, was er sich gedacht hat, das Geld ist für sie, in ein paar Wochen habe sie in Müritz keine Arbeit mehr, nur für den Fall, dass er dann nicht zurück ist. Sie soll in Müritz nicht arbeiten müssen. Er klingt beschwingt, als wäre er sicher, das Richtige zu tun, doch sie weiß sofort, dass sie das Geld nicht will. Es ist später Vormittag, sie muss sich um das Mittagessen kümmern, trotzdem denkt sie weiter an das Geld, das sienoch heute zurückschicken wird, die Sache sei ein Missverständnis, bitte versteh, es ist ein wenig kränkend, aber nötig ist es auf keinen Fall. Dabei hat sie gar nicht darüber nachgedacht, ob es gegebenenfalls nötig wäre, sie hat eine Aufenthaltsgenehmigung bis Ende August, und wenn er bis dahin nicht hier ist, ja, was dann.
    Paul, einer der Betreuer, hat sie gefragt, was mit ihr ist. Hast du Kummer? Paul ist Student, er mag sie, vielleicht sollte sie sich ihm anvertrauen. Aber sie kann nicht. Kummer ist das falsche Wort. Sie hat die Erfahrung gemacht, wie leicht man sich verletzen kann. Auch verletzt ist das falsche Wort, denn fast begrüßt sie es, dass er sie verletzen kann, ja, könnte er sie sehen, würde sie ihm sagen, schau, das hast du aus mir gemacht, selbst das erlaube ich dir.
    Eines der Mädchen hat ihr die Post zum Strand gebracht. Sie ist gerade im Wasser gewesen und sitzt im Sand neben seinem Korb, sieht das Mädchen mit dem Brief, aus der Ferne seine Schrift, dann ihren Namen, wie er ihn schreibt, quer über den halben Umschlag, die ersten Zeilen, die sie sofort beruhigen, nicht weil er sich für das dumme Geld entschuldigt, etwas matt, nicht restlos überzeugt, warum sie es nicht nimmt, sondern weil er sie vermisst, mit jeder Zeile, die sie ihm schreibt, weil er ohne sie nicht gut leben kann. Er klingt nicht glücklich, denkt sie, aber der Brief ist von gestern, er ist noch nicht richtig angekommen. Morgen treffe ich Max, liest sie, und deshalb ist es eine Weile auch für sie ein Morgen, und erst beim Wiederlesen begreift sie, dass morgen heute oder sogar gestern ist. Von seinem Zimmer kein Wort, wann er aufsteht, was mit seinen Eltern ist. Nur Ottla kommt an einer Stelle vor, dass er an einem Tisch sitzt, ein Blick aus dem Fenster, der kein Blick für sie ist. Stattdessen schreibt er: Wennich durch dein Haar fahre in meinen müden Gedanken, bin ich froh, aber als wäre es nicht wahr. Mein ganzes derzeitiges Leben ist nicht wahr, es findet nur irgendwie statt, während das Leben mit dir nicht stattfindet, aber ohne Zweifel wahr ist.

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7
    M AX IST SEHR SPÄT GEGANGEN, kurz nach elf. Gut drei Stunden haben sie geredet, mit einem anfänglichen Gefühl der Fremdheit, in der ersten halben Stunde, in der nur der Doktor Thema gewesen ist. Max war sichtlich erschrocken, wie er aussah,

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