Die Herrlichkeit des Lebens
Nun schickt er mich weg, wenn wir gegessen haben, wenn ich nicht mehr damit rechne.
Sie ist sehr spät gegangen, doch jetzt, am nächsten Morgen, ist sie wieder zurück. Sie frühstücken, sie gehen zusammen einkaufen, beglückt, auf eine vorsichtige Art albern. Sie lachen über die vielen Nullen auf den Geldscheinen, vergessen die Hälfte, machen sich noch einmal auf den Weg. Er erzählt ihr, was bei seinen Eltern war,von der letzten Nacht, die furchtbar gewesen sein muss, dass er bis zuletzt nicht gewusst hat, ob er fahren wird.
Alles in allem ist er sehr vorsichtig. Mehr mit sich selbst als mit ihr, hat sie das Gefühl, denn mit ihr müsste er eigentlich nicht vorsichtig sein. Sie ist noch immer nicht bei sich, aber das gefällt ihr, sie versucht zu fassen, was ist, sieht ihn am Schreibtisch, ganz in ihrer Nähe, und fasst es nicht.
Am zweiten Nachmittag haben sie Emmy zu Besuch. Sie ist sich nicht sicher, ob sie die aufgeregte Frau mag, für fünf Uhr hat sie sich angekündigt, aber dann ist sie über eine halbe Stunde zu spät, völlig außer Atem, als wäre sie den ganzen Weg gerannt. Sie war bis soeben auf einer Probe, dauernd komme sie zu spät, Max könne ein Lied davon singen. Dann redet sie lange über Max, ihr Glück und ihr Leid, wie entsetzlich es ist, wenn er fährt, dass sie sich einfach nicht daran gewöhnt, für sie breche jedes Mal die Welt zusammen. Max lässt Sie beide natürlich grüßen, sagt sie, er und der Doktor hätten kürzlich ja lange im Café Josty gesprochen. Kennen Sie das Josty? Dora kennt es nur vom Namen. Wo ist er überhaupt?, fragt Emmy, und jetzt wundert sich auch Dora. Bis vorhin hat er geschrieben, aber als sie nach drüben gehen, finden sie ihn schlafend auf dem Sofa, das Gesicht zur Wand, mit halb angezogenen Beinen, damit er überhaupt Platz hat, ohne die geringste Regung.
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D IE ERSTEN T AGE SIND WIE LEICHTER S CHLAF, nachmittags auf dem Sofa, wenn er nicht genau weiß, woher die Geräusche kommen, unten von der Straße, aus der Küche, oder doch von weiter drinnen, irgendein Klopfen, eine Stimme, die wie die Stimme Doras klingt, aber vielleicht nur Einbildung ist, etwas, das er in sich aufrufen kann, weil er es schon gehört hat.
Ist er wach, ist alles angenehm fremd, vor den Fenstern die gedämpfte Bewegung der Vorstadt, die Stille in den Parks, wenn sie zusammen gehen. Noch ist das meiste neu und überraschend, ihr Gesicht am Morgen, ihr Geruch, wie sie sitzt, im Schneidersitz auf dem Sofa, wenn sie aus der Thora liest. Ja? Willst du? Ist es dir auch recht, hier mit mir? Die ersten Tage, als die Fragen keine Fragen sind.
Er ist in Berlin, und er hat diese junge Frau. Er kann sie jederzeit berühren, aber oft schaut er nur, voller Entzücken über eine Stelle, die Biegung ihres Halses, ihre schwingenden Hüften, wenn sie durch den Raum geht. Alles ist für ihn, scheint sie zu sagen, was immer er an ihr findet, kann er haben.
Eine Weile leben sie wie unter einer Glocke, eher gleichgültig gegen das, was draußen ist, die ungeheure Teuerung, die sie doch betrifft, die allgemeine Unruhe, den geistigen Bankrott. Einzig die Vermieterin macht ihm Sorgen. Bei der Schlüsselübergabe am Mittwoch hat erDora mit keinem Wort erwähnt, und nun ist man sich bereits mehrfach begegnet, einmal ist es zu einer kleinen Unterhaltung gekommen, man hat sich freundlich bekannt gemacht, aber er ahnt, dass sich das von heute auf morgen ändern kann.
Zu Emmy sagt er in den ersten Tagen: Ich bin noch gar nicht da. In die Stadt wage ich mich heute zum Beispiel erst zum zweiten Mal. Sie haben sich am Bahnhof Zoo vor der Wechselstube verabredet, es herrscht großes Gedränge, die eingetauschte Summe ist zum Fürchten, selbst wenn es umgerechnet keine zwanzig Dollar sind. Emmy sagt: Ihr hättet zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können, schlimmer kann es kaum werden. Aber sie wirkt fröhlich, sagt ein paar Sätze über Dora, die ihn freuen, kommt auf Max, mit dem sie erst gestern telefoniert hat. Die schlechte Luft macht dem Doktor zu schaffen. Kaum ist er hier im Zentrum, beginnt der Husten. Emmy sieht ihn sorgenvoll an und zieht ihn schnell fort in Richtung Aquarium, wo es angenehm still und dunkel ist, beinahe wie im Kino. Die Tiere sind weit weg hinter Glas. Fische in allen Farben und Größen sind zu sehen, leuchtende Quallen, vor denen sich Emmy ekelt, weiter im Inneren die Haie. Jetzt fürchtet sie sich oder tut doch so. Der Doktor nimmt sie in den Arm, als müsse er sie
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