Die Herrlichkeit des Lebens
Hals, wo er sie geküsst hat.
Manches ist ihr auch fremd. Er isst seit Jahren außer Geflügel kein Fleisch, er kaut ewig lang, nach der Methodeeines Arztes, er hat komische Wach- und Schlafzeiten. Er sieht müde aus, um die Augen sind Schatten, was von den schlechten Nächten kommt, wobei sie sich fragt, ob er in diesen Nächten schreibt oder keinen Schlaf findet oder erst schreibt und dann nicht schläft. Nachts in ihrem Zimmer denkt sie lange an den zurückliegenden Tag, ihre Gespräche über Palästina, einen Scherz beim Einkaufen, wie er beim Essen aufsteht und sie von hinten umarmt. Was sie reden, ist schnell weg. Auch von seinen Liebkosungen behält sie nur Umrisse, ein wogendes Auf und Ab, die Seufzer, hin und wieder ein Wispern, ohne genaue Reihenfolge. Richtig gekannt hat sie sich bislang nicht. Das sagt sie ihm bei jeder Gelegenheit, dass sie sich erst kennt, seit sie bei ihm ist. Alles hat geschlafen, alles war für dich, nur dass ich dich nicht kannte. Oder besser: Ich kannte dich, ich wusste nur leider nie, wo ich dich finde, und dann am Strand habe ich dich gefunden.
Ihr Vater würde sagen, dass er gar kein Jude ist. Er hält den Sabbat nicht ein, er kennt nicht die Gebete, und dafür willst du meinen Segen?
Auch die Vermieterin scheint unzufrieden mit ihnen zu sein. Man merkt, wie sie die Stirn runzelt, wenn es zu Begegnungen kommt, spätabends, wenn längst Schlafenszeit ist, oder frühmorgens, wenn sich unweigerlich die Frage stellt: Bleibt das hübsche Fräulein etwa über Nacht?
Einmal kommt sie mit zwei Möbelpackern, um wie angekündigt das Klavier zu holen. Es ist halb zehn, sie sitzen beim zweiten Frühstück, und das einzig Peinliche ist, dass Frau Hermann so tut, als wäre etwas Peinliches daran, und sogar eine Bemerkung darüber macht: Sie habe sich dem Doktor gegenüber wohl nicht deutlich genug ausgedrückt, seit dem Ende des Krieges sei offenbar kein Stein auf demanderen geblieben und dergleichen Anspielungen mehr. Die beiden Möbelpacker kümmern sich zum Glück nur um das Klavier. Sie sind um die dreißig, zwei Berliner, die aus Gewohnheit fluchen, aber man sieht die Kraft, die Leichtigkeit, mit der sie das Instrument in Richtung Tür bugsieren. Franz ist voller Bewunderung. Noch als sie unten auf der Straße sind, steht er am Fenster und beobachtet, wie sie sich bewegen und dann lachen und bald wegfahren, sodass der Vorfall mit der Vermieterin rasch vergessen ist.
Obwohl sie sich die Ausgabe nicht leisten können, haben sie eine große Petroleumlampe gekauft. Die kleine gab nur wenig Licht, sie haben praktisch dauernd im Dunkeln gesessen, die Tage werden kürzer und kürzer, ab fünf ist stockfinstere Nacht. Dora mag die dunkle Jahreszeit, die langen Abende nach der Arbeit im Volksheim, sie haben viel Zeit. Mit der neuen Lampe allerdings ist es ein Kampf. Sie hat ein halbes Vermögen gekostet, aber jetzt brennt sie nicht mal richtig, jedenfalls nicht bei Franz, bei dem sie nur qualmt und stinkt. Er könnte sich kaum ungeschickter anstellen, aber eben deshalb haben sie viel Spaß, er macht der Lampe, um sie zu gewinnen, Komplimente, lobt und preist ihr Licht, leider vergebens. Augenscheinlich mag ihn die Lampe nicht. Er verlässt das Zimmer. Dora soll der Lampe sagen, er sei nicht hier, vielleicht brennt sie dann, was hat diese Lampe nur um Himmels willen für Gedanken, und siehe da, als er weg ist, gehorcht sie aufs Wort.
Dass er ein Schriftsteller ist, hat sie bislang kaum gemerkt. Er schreibt Briefe, Postkarten. Ist es das, was ein Schriftsteller tut? Einmal kommt ein Brief, der ihm zu schaffen macht, er sagt, eine Aufstellung der verkauften Bücher. Er wirkt bedrückt, ja niedergeschmettert, einen halben Tag,doch länger nicht. Sie lässt ihn den Nachmittag in Ruhe, bekümmert über einen Kummer, der nicht der ihre ist, als müsse sie nur warten, bis er sie wieder bemerkt, auf den ersten Satz, beim Essen das erste Lächeln.
Einmal wollen sie ins Kino. Bislang sind sie an den Abenden zu Hause geblieben, aber weil am Morgen ein Brief mit fünfzig Kronen gekommen ist, soll das Geld ausnahmsweise keine Rolle spielen, zumal es Kinos an jeder Ecke gibt, auch in Steglitz, Plakate mit atemberaubenden Szenen, schönen Männern und Frauen, die wer weiß was versprechen. Aber irgendwie kommt es nicht dazu. Man ist bereits unterwegs und beginnt sich zu besinnen, man steht in der Schlange vor der Kasse und greift sich im letzten Moment an den Kopf. Von Enttäuschung keine Spur. Dora
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