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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
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überrascht. Überraschend wäre allenfalls das Gegenteil, aber auch das Gegenteil ist vorgekommen, man kann die Tuberkulose überleben, in einigen wenigen Fällen hat sie sich, wie soll man sagen, in Luft aufgelöst. Zumindest hat er dergleichen öfter gehört, früher in Sanatorien, als er selbst noch kein Lungenpatient gewesen ist und genau genommen überhaupt kein Patient.
    In ihren Armen manchmal glaubt er daran. Oder besser: Er vergisst, woran er im Grunde nicht glaubt, denn in Wahrheit sorgt er sich ohne Unterlass, er lauscht, hört in sich hinein, selbst in ihren Armen, wo zum Glück noch andere Geräusche sind.
    Von heute auf morgen ist es richtig Winter. Auf den Straßen liegt knöchelhoch der Schnee, es ist kalt und grau, und ausgerechnet jetzt hat er seit Wochen erstmals wieder Temperatur. Nicht sehr viel, aber immerhin. Dora schickt ihn sofort ins Bett, der Schreibschwung der letzten Wochen ist dahin, er fühlt sich dumm und leer, blättert lustlos in einer Zeitung, die Dora gebracht hat, ist den ganzen Tag nicht zufrieden, weshalb sie sich schon Sorgen macht, aber nein, vom Husten weiterhin keine Spur. Er fühlt sich kraftlos, was irgendwie passt, jetzt zum Ende des Jahres, wo draußen alles in eine totengleiche Starre zu verfallen beginnt.
    Die Nacht vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Der 24. beginnt, wie der 23. geendet hat, er hat Temperatur, aber keinen Husten, er liegt auf dem Sofa in der Nähe des Ofens, während Dora letzte Besorgungen für die Feiertage macht. Kaum ist sie weg, kommt das Fieber. Er beginnt zu frieren, er glüht, gleichzeitig ist ihm kalt. Dora, als sie zurückkehrt, erschrickt, sie telefoniert nach einem Arzt, einem über mehrere Ecken bekannten Professor, der wiederum seinen Assistenten schickt, einen Mann um die dreißig, der nichts feststellen kann. Man kann nur warten, sagt er. Bleiben Sie im Bett, ist sein Rat, nennt auch gleich seinen Preis, eine aberwitzige Summe.
    Da er nur Fieber hat, möchte der Doktor eigentlich nicht liegen, aber Dora zuliebe bleibt er im Bett, schreibt einen weiteren Brief an M., etwas kläglicher als er sich fühlt, aber so ist es zwischen ihnen üblich. Obwohl ihm vorläufig nichts fehlt, schreibt er von den alten Leiden, die ihn auch hier in Berlin aufgefunden und niedergeworfen hätten, alles mache ihm Mühe, jeder Federstrich, weshalb er nicht schreibe, auf bessere oder noch schlechtere Zeiten warte, im Übrigen gut und zart behütet – das ist seine Formulierung für Dora – bis an die Grenzen irdischer Möglichkeit. Viel mehr gibt es nicht zu sagen. Draußen schneit es, vor dem Fenster tanzen seit Stunden die Flocken, was ganz nett anzusehen ist, als wäre man zurück in seiner Kindheit.
    Am vierten Tag ist das Fieber weg. Dora möchte, dass er weiter liegt, obwohl er das für übertrieben hält. Sie wirkt noch immer sehr mitgenommen, wenn sie lächelt, wenn sie das Essen bringt oder auf dem Bett sitzt und sagt, wie furchtbar er ausgesehen hat. Wie der Tod, sagt er, worauf sie heftig den Kopf schüttelt, um Himmels willen, nein, und dann in Tränen ausbricht, weil sie genau das gedacht hat.
    Es ist bitterkalt, an den Fenstern wachsen die Eisblumen, aber er scheint wieder in Ordnung zu sein. Jetzt, am zweiten fieberfreien Tag, kann ihm Dora gestehen, dass sie während des Fiebers mit Elli telefoniert hat, drüben im Wohnzimmer, während er kaum einen klaren Gedanken zu fassen in der Lage war und sich nur wunderte, warum sie so lange ausblieb. Dora hat ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht gefragt hat, schließlich kann sie nicht einfach bei seiner Familie anrufen, aber in ihrer Not habe sie sich keinen anderen Rat gewusst. Sei nicht böse, sagt sie, dabei ist er keine Sekunde böse, eher erleichtert, denn er hasst das Telefonieren. Ob Dora in Zukunft nicht für ihn telefonieren will? Allein das Klingeln ist ihm ein Gräuel, man erschrickt jedes Mal bis ins Mark, weiß auch meistens nicht, was reden, oder es geht alles durcheinander wie neulich mit Elli, man fällt sich ins Wort, springt von hier nach da, fragt nach völlig überflüssigen Dingen wie dem Wetter, wie hast du geschlafen, was macht der Husten, Dinge, die, säße man sich gegenüber, in aller Ruhe zu klären gewesen wären.
    Den nun notwendig gewordenen Brief an Elli beginnt er so: Ich dachte gleich an das Schlimmste, etwa dass sie eine halbe Taube gekauft habe oder dergleichen, aber dann war es der Anruf. An Ottla würde er völlig andersschreiben, aber bei Elli hat er

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