Die Herrlichkeit des Lebens
Respekt, weil er ein berühmter Mann ist, der geheiratet hat und ein Leben nach dem Geschmack des Vaters führt. Zumindest hat er Erfolg, er reist, tritt bei öffentlichen Veranstaltungen auf, kann etwas vorweisen, in jeder größeren Buchhandlung ein halbes Dutzend Titel, was man vom ewig kränkelnden Doktor nicht behaupten kann. Max sind solche Vergleiche peinlich, andererseits hat er bei den Eltern oft ein gutes Wort einlegen können, nach der gescheiterten Verlobung, oder jetzt im Herbst, als der Doktor unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Berlin gegangen ist, ausgerechnet mit einer Ostjüdin. Sie werden sich gewöhnen, sagt Max. Lernen sie Dora erst kennen, werden sich die Vorbehalte schnell zerstreuen.
Von der Krankheit reden sie nur am Rande oder in der altbekannten Weise, als wäre sie ein Gast, der sich gelegentlich zeigt und dann höflich verschwindet, was siebeide inzwischen eher bezweifeln. Der Doktor liest die Mäusegeschichte, mit der neuen Stimme, die ihn zu mehreren kleinen Pausen zwingt, aber die erste Reaktion von Max ist beglückend, es gibt viel Lob, die Mäusegeschichte gehöre zum Besten, was er je geschrieben hat.
An Dora schreibt er, dass es kaum etwas zu berichten gibt, über sein Leben im Bett, hin und wieder eine Kleinigkeit von Besuch, dass er kürzlich aufgestanden sei und das Unternehmen gleich aufgegeben habe, dass er wenig schreibt, dass er an sie denkt, viel in den alten Zimmern spazieren geht, die bekannten Wege in Steglitz. Dora ist dabei, die Wohnung zu verlassen, sie zieht zu Judith und drängt in jedem Brief, dass sie nach Prag will, jede weitere Stunde sei vergeudet. Sie ist noch einmal in der Miquel- und der Grunewaldstraße gewesen, stand dort lange ungläubig herum, als habe es ihr Berliner Leben nie gegeben. Sie glaubt, dass Frau Hermann sie bemerkt hat, eine kurze Bewegung hinter dem Fenster, weshalb sie schnell weggelaufen sei. Bitte, lass mich zu dir. Habe ich alles nur geträumt? Wenn du die Papiere hast, setze ich mich in den Zug. Deine Eltern müssen mich ja nicht sehen. Wir treffen uns am Bahnhof, du nimmst dir einen Wagen, und dann falle ich dir in die Arme. Bis Ende der Woche, hofft er, müsste die Genehmigung erteilt sein. Ich bin kein erfreulicher Anblick, schreibt er. Aber eine Weile kann er die Szene glauben, am Bahnhof, den Moment, wenn sie aus dem Wagen steigt, müde von der Fahrt, etwas kleiner, als er sie in Erinnerung hat, mit diesem hinreißend schiefen Lächeln.
Nach einer halb durchwachten Nacht verwirft er den Plan. Er kann in seinem Zustand nicht allein zum Bahnhof, Dora müsste ihn bei den Eltern abholen, was aus den bekannten Gründen unmöglich ist, und so bleibt es dabei, dass er mit dem Onkel fährt und Dora erst im Sanatorium trifft. Er deutet an, wie sehr er sich fürchtet, selbst wenn man Genaues natürlich erst vor Ort weiß. In manchen dieser Anstalten wird man jede Minute daran erinnert, dass man krank ist, andere sind wie Hotels, aber irgendeine Art von Regime besteht am Ende immer, es gibt den Essenszwang, der ihm seit jeher der größte Gräuel gewesen ist, es gibt Ärzte, peinliche Verhöre bei der Ankunft, in schweren Fällen Medikamente, Spülungen, Injektionen mit Menthol und dergleichen Maßnahmen mehr. Das meiste hat er in der einen oder anderen Variante schon kennengelernt, was die Sache nicht besser macht, denn bei seinen früheren Aufenthalten war er vergleichsweise gesund, und diesmal scheint die Sache ernst zu sein. Vor dem Spiegel macht man sich leicht etwas vor, schließlich kommen die Veränderungen schleichend, man hat sich daran gewöhnt, was leider heißt, dass man keinen objektiven Blick hat. Das also ist mein Gesicht? Na gut, das also ist mein Gesicht, aber die raue Stimme ist doch auffällig, selbst wenn Elli sie gar nicht bemerkt und lieber über sein Gewicht redet, dass er nicht isst, seinen erbärmlichen Zustand, für den sie ohne Wenn und Aber Berlin verantwortlich macht.
Alle warten, dass er endlich fährt. Am meisten er selbst, aber auch seine Umgebung, die Mutter, die ihm mehrmals am Tag die Post bringt, das Fräulein, das in sein Zimmer will, selbst Max, der sich bei jeder Gelegenheit über den Schlendrian der Behörden erregt und nicht merkt, wie er den Doktor damit langweilt. Es wird Zeit, dass er ihnen nicht länger zur Last fällt, als Kranker ist man doch eine Zumutung, es gibt keinen Stoff für Gespräche. Das Waschen und Anziehen ist ihm lästig, der dauernde Lärm, der auch nicht aufhört,
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