Die Herrlichkeit des Lebens
Glück nichts Bösartiges, wie es scheint. Er erkundigt sich nach der Reise, ob sie eine Unterkunft hat, denn hier im Haus kann sie nicht bleiben. Nach einer Stunde wird sie vor die Tür geschickt, und erst jetzt, auf dem Flur, beginnt sie zu begreifen, an welchem Ort sie ist. Hinter der nächsten Tür hört man jemanden husten, minutenlang, auch in den weiter entfernten Zimmern, jemand stöhnt, ein anderer lacht, obwohl es mehr wie ein Weinen klingt. Sie darf zurück zu Franz, kümmert sich zwischendurch um die Unterkunft, sitzt an seinem Bett, nun schon einigermaßen gewappnet, wie sie glaubt. Gestern Abend in Wien hat sie sich wer weiß was vorgestellt, sie meinte vor Sehnsucht zu vergehen, und jetzt liegt er da in diesem Zimmer, seltsam fern, als könne sie ihn nicht erreichen, wie konnte sie nur glauben, dass sie ihn wie in Berlin hat.
Den Bauersleuten, bei denen sie wohnt, hat sie gesagt, sie besuche ihren Mann, er sei krank, was sie augenscheinlich längst wissen. Sie sprechen einen schwer verständlichen Dialekt, geben ihr Milch und Brot, nicken ihr bei jedem Bissen zu, auf eine aufmunternde Art, die sie sich für Gäste wie Dora angeeignet haben. Das Zimmer ist einfach und sauber, alles ist aus Holz, selbst Wände und Decke; zum Waschen gibt es einen Krug Wasser und eine Schüssel, zum Frühstück wieder Milch und Brot. Sie ist früh wach und vor acht oben im Sanatorium, wo man sie unter Hinweis auf die Besuchszeiten wegschickt. Sie protestiert, trotzdem schickt man sie weg, sie hat nicht die geringste Ahnung, wie sie die nächsten Stunden überstehen soll, stolpert eine Weile durch den Park, geht zurück in ihr Zimmer und wieder hoch zum Sanatorium.Auf halbem Weg gibt es ein lang gestrecktes Gebäude, in dem die Leute kegeln, Patienten im Schlafrock und ein, zwei Pfleger, in einer lärmend-fröhlichen Atmosphäre. Viertel vor eins ist sie bei Franz, der sich sichtlich freut, beinahe mehr als gestern. An das Flüstern hat sie sich gewöhnt, sie vermisst seine Stimme, aber es ist schön, dass sie miteinander sprechen. Wie immer macht er sich Sorgen um das Geld. Jeder Tag im Sanatorium koste ein Vermögen, dazu die Medikamente, deren Namen sie sich allmählich zu merken beginnt: gegen das Fieber dreimal täglich flüssiges Pyramidon, gegen den Husten Atropin , dazu irgendwelche Bonbons. Keines der Medikamente hilft. Franz kann wegen der Schwellung des Kehlkopfs seit Tagen nicht essen, der Arzt, der gekommen ist, redet von Injektionen in den Nerv, auch eine Resektion müsse in Betracht gezogen werden, wozu nur Spezialisten in einer Wiener Klinik in der Lage seien. Erst versteht sie nicht. Der Arzt, der ihnen die Nachricht bringt, ist ungeduldig, Franz schüttelt den Kopf, doch so schwer ist es eigentlich nicht zu begreifen, man kann hier im Sanatorium nichts weiter für ihn tun, sie müssen weg, nach Wien in die Klinik von Prof. Hajek, so schnell wie möglich.
Die Bauersleute sind beim Frühstück, als sie sich verabschiedet. Auch Franz ist längst wach, in nicht gar so schlechtem Zustand, wie sie befürchtet hat. Die Entlassungspapiere sind unterschrieben, es bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken, aber vielleicht ist das ja gut, man macht alles automatisch, in der dafür vorgesehenen Reihenfolge. Es wird nach einem Wagen geschickt, sie packt, während Franz an die Eltern schreibt. Die Fahrt bei Wind und Regen ist entsetzlich. Aus unerfindlichen Gründen gibt es keinen Wagen mit Verdeck, und so fahren sie die unendlich lange Strecke ohne jeden Schutz, Dora mit geöffnetem Mantel vor ihm stehend, wie betäubt, als wäre es nicht wahr. In der Klinik führen sie ihn gleich weg, erst nach einer Ewigkeit darf sie auf sein Zimmer. In Wahrheit ist es eher eine Zelle, er liegt mit zwei schrecklich leidenden Menschen Bett an Bett, am Kehlkopf irgendwelche Apparate, vor denen man sich nur fürchten kann. Franz schickt sie schnell fort, und also quartiert sie sich neuerlich im Hotel Bellevue ein, wo sie eine von Franz begonnene Karte an Robert zu Ende schreibt, unter dem Eindruck der bedrückenden Klinik. Es sei nichts mehr zu verlieren, schreibt sie, Franz könne nicht mehr sprechen. Und tatsächlich bemerkt sie erst jetzt, dass er nicht mehr gesprochen hat, seit dem Morgen nicht, nicht mal geflüstert, und trotzdem hatte sie dauernd das Gefühl, als rede er mit ihr, wie damals in Müritz, selbst wenn er nicht da war, in ihr drin, als wären sie dort beisammen und würden sich immerzu unterhalten.
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A M
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