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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
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möglich ist, in die Anstalt zu kommen, da er wegen des Fiebers das Bett nicht verlassen kann. An Dora schreibt er: Das Bett verlasse ich durchaus, wenngleich nur für Stunden, wie du es aus Berliner Zeiten ja kennst. Für einen flüchtigen Betrachter könnte es so aussehen, als wäre es dasselbe Leben wie in Berlin, aber bei genauer Betrachtung, ohne dich, ist es das reine Gegenteil. Berlin war das Paradies, schreibt er. Wie um Himmels willen konnte ich mich von dort vertreiben lassen? Auch Dora hat geschrieben, auf dem Bahnhof auf einer Bank, eine schnelle Postkarte, der bis zum Abend zwei weitere folgen, merkwürdig gefasst und doch nicht, zwischen den Zeilen, als würde sie gleichzeitig reden und beten.
    Am nächsten Tag schreibt er die letzten Sätze, als hätten sie seit Langem festgestanden, wie etwas, das man irgendwann hört und dann nach und nach notiert, wie eine Melodie auf der Gasse, wenn jemand pfeift und allen Passanten ohne Bedingung das Recht erteilt, es auf dem Weg nach Hause nachzupfeifen. Die Geschichte ist eine seiner längsten. Er begreift sehr wohl, dass sie so etwas wie das letzte Wort über sich und seine Arbeit ist, seinen alles in allem gescheiterten Versuch, Schriftsteller zu sein, die Vergeblichkeit der Kunst, die mit der Vergeblichkeit des Lebens zusammenfällt. Am Abend verliert er die Stimme. Eigentlich ist er nur heiser, aber vielleicht doch mehr, erbeginnt zu piepsen wie Josefine, was ihm doch irgendwie passend vorkommt. Beim Abendessen fällt die Sache bald auf, die Mutter fragt, was er hat, aber er hat nichts, und tatsächlich, am nächsten Morgen scheint die Stimme wieder in Ordnung zu sein.

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    S EIT ER FORT IST, verbringt Dora die meiste Zeit im Volksheim, kümmert sich um die neuen Kinder, stellt mit Paul im Speisesaal Tische und Bänke um und geht so spät wie möglich zurück in die Heidestraße. Paul findet, dass sie sich verändert hat. Sie ist älter geworden, ruhiger, hat er den Eindruck, und dabei ist seit Müritz nur ein halbes Jahr vergangen. An einem der ersten Abende in einem Lokal hat sie lange erzählt, von Davos, wie sie sich sorgt, wie sie ihn vermisst. Paul hat nicht gewusst, dass sie nach Davos geht. Sie hat noch immer nicht nachgeschaut, wo dieses Davos genau liegt, gibt zu, dass sie sich fürchtet, wie elend Franz bei der Abreise ausgesehen hat. Manches sagt sie Paul auch nicht. Wie sie anfangs gehofft hat, Franz habe etwas vergessen, wie sie alles durchsuchte, wieder und wieder jedes Zimmer. Soll sie zugeben, dass sie seine Briefe küsst? Am Morgen nach dem schrecklichen Abschied ist sie sofort zum Briefkasten gelaufen, denn vielleicht hatte er im Zug ja gleich geschrieben, aber das war nicht der Fall. Alles war schlimm, als sie erwachte, als sie den Frühstückstisch deckte, für sich und ihn, zwei Teller, Messer, Gabel, als sie nicht mehr wusste, wie seine Stimme klingt, aber dann doch, sein Lachen ungefähr, wenn sie sich bemühte. Im Sommer, nach seiner Abreise, hatte sie wochenlang die kleinste Kleinigkeit von ihm gewusst, aber diesmal ist sie völlig durcheinander, sie vergisst ihr Portemonnaie, erschrickt, wenn in der Halledas Telefon geht, rennt zu den unmöglichsten Zeiten zum Briefkasten.
    Der erste Brief ist noch ziemlich lang. Er schreibt von der Reise, den verdämmerten Stunden, über den Empfang bei den Eltern, die er erst lobt, um sich dann zu beklagen, wie wenig man sich zu sagen hat. Das meiste kann sie sehen. Die gute Ottla kann sie sehen, Elli und die Mutter, die hoffentlich respektieren, dass er Ruhe braucht. Täglich kommt Max, einmal Robert, der sie grüßen lässt. Mit der Geschichte ist er inzwischen fertig, aber das Fieber geht nicht weg, die rauchige Stimme, an die sie sich wird gewöhnen müssen. Er schreibt, dass er von ihr träumt, so gut wie jede Nacht, auch wenn er am Morgen vieles nur ahnt. Aber sie ist da, hütet seinen Schlaf, falls er mal schläft, denn oft liegt er bis zum Morgen wach. Frühling wird es auch, in Prag nicht weniger als in Berlin. Die Mutter liest ihm jeden Morgen vor, was über Berlin in der Zeitung steht, auch Ottla lässt sie grüßen, lang und herzlich. Bald, schreibt er. Ich hoffe, du erschrickst nicht über mich. Willst du nicht Frau Busse fragen, ob du ein paar Dinge unterstellen kannst, wenn sich nichts anderes findet?
    An Frau Busse hat sie bislang nicht gedacht. Anfangs hat man sich nicht sonderlich beachtet, aber jetzt stellt sich heraus, dass sie sehr freundlich ist und Anteil nimmt. Erst

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