Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
hier nichts mehr für dich. Der Herr hat alle Hindernisse unserer Mission beseitigt.«
Bant erhob sich und drehte sich zu dem Propheten um, dem er all die Jahre gefolgt war.
»Lügen!«, schrie er und rannte zu ihm, stieß ihm die mit Blasen übersäten Fäuste gegen die steinharte Brust. »Jedes Wort von deinen Lippen ist eine Lüge!«
»Du stehst unter großer Anspannung«, sagte Hezekiah, offenbar unbeeindruckt von den Schlägen.
»Gott verfluche dich!«, rief Bant und sank auf die Knie. Es fühlte sich an, als wären seine Finger gebrochen. »Gott verfluche dich.«
»Hüte deine Zunge«, sagte der Prophet. »Mit Blasphemie bringst du deine unsterbliche Seele in Gefahr.«
»Geh zur Hölle!«
»Bant Bitterholz, ich wandle auf dieser Welt seit mehr als zehn Jahrhunderten. Ich bin zu großer Geduld fähig. An diesem Morgen warst du ein treuer Diener Gottes. Du kannst deinem Glauben nicht so schnell abschwören. Ich werde deine Blasphemie deiner Anspannung zuschieben und dich diesmal verschonen. Ich werde gehen und dich deinem Kummer überlassen.«
Der schwarzgewandete Prophet drehte sich um und wurde zu einem dunklen Schatten vor dem dunklen Himmel. Seine Stimme schien von nirgendwo und überall zu kommen, als er sagte: »Ich werde in drei Tagen zurückkehren. Bereite dich vor. Wenn du bis dahin die Vergebung des Herrn gesucht hast, werde auch ich dir vergeben. Wir werden nie wieder über dein schamvolles Verhalten sprechen.
Aber sei gewarnt: Wenn du weiterhin den Pfad des Sünders beschreitest, werde ich dich bei unserem nächsten Treffen töten.«
»Töte mich jetzt«, sagte Bant. Er ließ den Kopf hängen. Die gebrochenen Hände lagen nutzlos vor ihm auf dem Boden. »Alles, was ich geliebt habe, ist weg. Alles, was ich geglaubt habe, war eine Lüge.«
»Ich habe dir meine Entscheidung mitgeteilt. Ich werde mich jetzt ausruhen. Mein Schöpfer hat mich gut gebaut, aber es wird etwas dauern, bis der Schaden repariert ist. Drei Tage, Bant Bitterholz.«
Der Schatten des Propheten löste sich in der Nacht auf. Bant konnte nicht aufhören zu weinen. Er kroch über den rissigen Boden auf die Asche zu, die einmal sein Zuhause gewesen war.
War alles eine Lüge gewesen? Hezekiahs Versprechen, dass ein Herr über ihn wachte, dass es eine himmlische Belohnung geben würde? Hatte er sein Leben irgendeiner absurden Einbildung gewidmet? Konnte er jetzt noch an irgendetwas glauben?
In dem schwachen Licht konnte Bant mühsam die Fußabdrücke der Drachen ausmachen, die vor der Tür gestanden hatten. Um die Wahrheit dessen zu sehen, was die Bestien getan hatten, brauchte er nicht einmal ein winzig kleines Körnchen Glauben.
Seine grundlegendsten Überzeugungen waren zerschmettert worden.
Alles, was er geliebt hatte, war verloren.
Er wollte nicht mehr in dieser trostlosen Welt leben.
In der Abwesenheit von Liebe und Glauben erfüllte ihn
eine einzige Erkenntnis, während er auf die Fußabdrücke der Drachen starrte. Sie floss in einer heißen Woge wie ein starkes Getränk in seinen Körper. Er drehte sein Gesicht dem Sternenhimmel zu und fluchte, bis seine Stimme in Lachen überging. Er wusste immer noch, wie man hasste. Und Hass, das wusste er, konnte die Welt verändern.
Kapitel Fünfzehn
Blasphet
1100 D. Z., im 69sten Jahr der Herrschaft von Albekizan
M etron, der Hohebiologe, begab sich über die dunkle Wendeltreppe aus Stein hinunter zu den tiefsten Gefilden der Bibliothek. Er trug eine Laterne bei sich, hielt sie aber verschlossen. Er musste nichts sehen, um diesen vertrauten Pfad zu gehen. Er hatte über ein Jahrhundert in dieser Bibliothek verbracht. Er war der Wächter all des zwischen diesen Mauern verwahrten uralten Wissens. Kein lebender Drache hatte mehr Bücher gelesen als Metron; kein Drache liebte den modrigen Geruch oder die vergilbten Seiten mehr als er. Dies machte seinen gegenwärtigen Abstieg in die Dunkelheit umso beunruhigender. Denn heute hatte Metron den Auftrag, die Sammlung der heiligsten Bücher zu zerstören.
Er hatte den ganzen Abend Wein getrunken, hatte drei Flaschen ganz geleert und eine vierte beinahe; diese hielt er jetzt zwischen seinen knorrigen Klauen. Sein Mut, das wusste er, würde nie größer sein. Wenn er die Bücher nicht
jetzt zerstörte, würde er es niemals tun. Schließlich erreichte er den Keller. Er blieb vor dem Schaukasten stehen, in dem sich eines der meistgeschätzten Artefakte der Drachen befand. Es handelte sich um eine Platte aus weißem Stein, in der
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