Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
zarten Schuppen ihrer Wange.
»Tanthia, mein Liebling, es schmerzt mich, dich trauern zu sehen. Dennoch ist das Trauern die Bürde der Frauen, und auch ihr Vorrecht. Meine Pflicht ist es, meinen Sohn zu rächen. Ich muss gehen und mich mit meinen Beratern besprechen, um herauszufinden, wie die Gerechtigkeit am schnellsten wiederhergestellt werden kann. Später, wenn der Mond aufgegangen ist und die Arbeit des Tages verrichtet wurde, werde ich dir beim Fackelplatz Gesellschaft leisten und zusehen, wie Metron den Scheiterhaufen entzündet. Dann werde ich dich stützen und dir bei der Bürde des Kummers helfen. Geh jetzt. Warte bei unserem gefallenen Sohn, bis die Nacht hereinbricht.«
Tanthia stand auf; ihre Beine zitterten immer noch, aber sie hielt den Kopf aufrecht. »Ja, mein König«, flüsterte sie und kehrte in die Nestkammer zurück.
Albekizan drehte sich weg und sah, dass Bander sich jetzt mit einer anderen Wache unterhielt. Ihre Stimmen klangen gedämpft und voller Panik.
»Was ist los?«, fragte Albekizan.
Bander nahm augenblicklich Haltung an. »Herr, meine Wachen haben jeden Raum der Burg durchsucht. Vendevorex ist unauffindbar.«
»Zweifellos plant der Zauberer irgendeinen dramatischen Auftritt«, sagte Albekizan. »Er hält es für unter seiner Würde, einfach auf normale Weise ein Zimmer zu betreten. Beendet die Suche. Ich werde nicht länger warten. Kommt mit.«
Tatsächlich war es nicht so, dass Vendevorex es als unter seiner Würde empfand, ein Zimmer auf normale Weise zu betreten. Die Würde spielte keine Rolle bezüglich der Art und Weise seines Kommens und Gehens. Der Schlüssel zu seinen Bewegungen war vielmehr Strategie. Vendevorex diente Albekizan nun seit fast fünfzehn Jahren und hatte bereits vor langer Zeit erkannt, dass das Leben weit angenehmer war, wenn er seine eigenen Ziele verfolgte. Deshalb hatte Vendevorex in der Nacht, als Albekizan und Zanzeroth sich auf die fieberhafte Suche nach Bitterholz begeben hatten, einen anderen Pfad eingeschlagen. Er war ebenfalls im Wald gewesen, an dem Ort, an dem der Mord geschehen war, und hatte unsichtbar von einem Baum aus zugesehen, wie Zanzeroth auf die Spuren von Cron und
Bitterholz hingewiesen hatte. Als die Gruppe die Verfolgung von Bitterholz wieder aufgenommen hatte, war Vendevorex jedoch Crons Spuren gefolgt. Dabei war es nicht so, dass ihm die Gefangennahme von Bitterholz egal gewesen wäre. Er war nur einfach voller Zuversicht gewesen, dass die Angelegenheit bei Zanzeroth in guten Händen war. Der alte Spurensucher konnte einer einzelnen Schneeflocke in einem Schneesturm folgen. Und wenn sie Bitterholz eingeholt hätten – oder die Person, die vorgab, es zu sein –, schien es wahrscheinlich, dass die kleine Armee um den König siegreich sein würde. Wie gefährlich konnte ein einzelner Mensch schon sein?
Crons Spur führte einige hundert gewundene Schritte durch das Dickicht des Waldes. Vendevorex besaß nicht Zanzeroths Fähigkeiten als Spurenleser, aber er benötigte sie auch gar nicht. Der König hatte recht gehabt. Diese Sklaven hinterließen eine Spur, der jeder folgen konnte.
Schließlich fand er den jungen Sklaven; er verbarg sich hinter einem umgestürzten Baum und hatte die Zweige zum Schutz über sich gezogen. Es war kein wirklich schlechtes Versteck, aber Crons Zähne klapperten laut genug, dass er wie ein nächtlicher Specht klang.
»Ich bin dein Freund, Cron«, sagte Vendevorex, als er noch zehn Fuß entfernt war.
Cron schnappte nach Luft, dann biss er die Zähne zusammen, und das Klappern verstummte.
»Du hast nichts von mir zu befürchten«, sagte Vendevorex. »Steh auf, ich möchte dir helfen.«
»W-wer seid Ihr?«, flüsterte Cron.
»Heute Nacht deine letzte und beste Hoffnung«, sagte
Vendevorex. »Im Augenblick bist du in Sicherheit. Aber wenn der König heute Nacht seine Beute findet, wird er zweifellos nach dir suchen. Es wäre am besten für dich, wenn du dann schon weit weg wärst.«
Cron richtete sich in die Hocke auf und blickte sich mit furchterfüllten Augen im dunklen Wald um. Vendevorex beschloss, unsichtbar zu bleiben, platzierte jedoch einen Beutel aus Sackleinen in die Nähe des Baumstamms und zog sich dann wieder zurück.
»Der Beutel da … siehst du ihn?«
Cron blickte sich um und versuchte, die Quelle der Stimme ausfindig zu machen. Schließlich schaute er auf den Boden und entdeckte den Beutel.
»Ich habe dir etwas zum Anziehen und zum Essen gebracht«, sagte Vendevorex. »Du
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