Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
arbeiteten und unterwürfig bei den Drachen lebten. Vendevorex landete auf dem matschigen Pfad, der sich zwischen den Hütten hindurchschlängelte, und rümpfte die Nase. In der Barackenstadt roch es nach verrottendem Abfall und Exkrementen. Innerhalb des Palastes beförderte ein uraltes, ausgeklügeltes System aus Aquädukten und Rohren frisches Wasser in alle Winkel der Gebäude und spülte Abfall weg. Hier wurde dies von offenen, stinkenden Gräben erledigt. Schmutzige, zerlumpte Kinder spielten im Dreck; sie lachten und schienen sich ihres Elends nicht bewusst zu sein.
Vielleicht hatte der König recht, dass er die Menschen als eine niedrigere Rasse betrachtete als die Drachen, dachte Vendevorex. Dann schüttelte er diesen Gedanken mit einer leichten Kopfbewegung ab. Die Menschen lebten nicht aus freien Stücken so. Sollte ein Mensch jemals versuchen, den Reichtum und die Annehmlichkeiten eines Drachen zu erlangen, würden Albekizans Steuereintreiber kommen und ihm alles wegnehmen. Wenn Menschen in solchem Elend
lebten, dann nur deshalb, weil es das Einzige war, was Albekizan ihnen zugestand.
Während er unsichtbar an den Hütten vorbeiging, hörte er schließlich den vertrauten Klang von Jandras Stimme. Er bog um eine Ecke und stellte fest, dass sie mit Ruth und Mary sprach, zwei Küchenhilfen des Palastes. Ruth und Mary waren seiner Schätzung nach Mitte zwanzig, aber aufgrund ihres schweren Lebens wirkten sie, als wären sie bereits im mittleren Alter. Fünfzehn Jahre zuvor, als Jandra in sein Leben getreten war, hatte er sich an die Mutter von Ruth und Mary gewandt, um von ihr Ratschläge bezüglich des Aufziehens eines Menschenkindes zu erhalten. Die Mutter war einige Jahre zuvor an einer Krankheit gestorben, aber Ruth und Mary waren bis zu diesem Tag mit Jandra befreundet. Jandra stahl sich häufig davon, um mit ihnen zu plaudern.
Und an diesem Morgen … gab es so viel zu plaudern.
»Stimmt es, dass Bodiel tot ist?«, flüsterte Ruth.
»Ich habe gehört, dass Cron ihn getötet hat«, sagte Mary. »Offenbar hatte er Pfeil und Bogen im Wald versteckt.«
»Ich weiß nur das, was ich gesehen habe«, erklärte Jandra. »Bodiel ist mitten im Sturm verschwunden. Albekizan und Shandrazel sind ihm gefolgt. Dann hat Vendevorex mich zurück ins Zimmer gebracht, bevor ich irgendetwas Genaueres erfahren konnte. Er hat mir gesagt, dass ich dort warten soll, und ist dann verschwunden. Ich habe versucht, etwas zu schlafen, aber es ging nicht. Immer wieder waren laute Rufe und Geschrei zu hören.«
»Sie haben eine ziemliche Unruhe verbreitet«, sagte Ruth.
»Vor etwa einer Stunde sind ein paar Soldaten bei mir gewesen und haben nach Vendevorex gesucht«, sagte Jandra. »Ich hatte mich allerdings versteckt und konnte zufällig hören, dass der König Vendevorex im Ratszimmer erwartet. Ich dachte, wenn Vendevorex die nächste Zeit ohnehin beschäftigt ist, kann ich die Möglichkeit nutzen, euch beide zu besuchen.«
»Wenn Cron Bodiel getötet hat, wird es seiner Familie schlecht ergehen«, sagte Mary. »Der König wird alle töten lassen.«
»Aber es ist doch nicht ihr Fehler«, erwiderte Jandra.
»Glaubst du, das spielt für Albekizan eine Rolle? Ich habe gehört, dass er in den Dörfern, in denen die Leute die Steuer nicht zahlen können, die Säuglinge frisst, während die Eltern zusehen.«
»Das ist Unsinn. Der König ist nicht … er ist nicht grausam oder ungerecht«, sagte Jandra, aber es klang nicht so, als würde sie es glauben.
»Was weißt du schon?«, fragte Ruth voller Verbitterung. »Du lebst behütet bei dem Zauberer. Du weißt nicht, wie die Welt wirklich aussieht.«
»Sei nicht so gemein«, sagte Mary. »Es ist nicht Jandras Fehler, dass sie das Schätzchen des Zauberers ist.«
»Ich bin nicht sein Schätzchen«, widersprach Jandra. »Ich bin seine Schülerin.«
»Wie auch immer, wenn er pfeift, gehst du hin«, sagte Ruth.
»Wenn ich immer gehorchen würde, wäre ich jetzt nicht hier«, entgegnete Jandra. »Ich tue nicht alles, was der alte Ziegenbock sagt.«
Vendevorex entschied, dass er genug gehört hatte. Mit einem Gedanken gestattete er seiner Aura der Unsichtbarkeit, sich aufzulösen, und nahm hinter Jandra Gestalt an.
Ruth wurde blass, Mary leuchtend rot.
»Was ist?«, fragte Jandra.
Die beiden Frauen sagten nichts.
»Was ist?«, fragte Jandra. »Ist … ist er es?«
»Määääh«, blökte Vendevorex.
Jandra wirbelte herum. »Ven!«
»Du kehrst sofort zu unseren Gemächern
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